Herz im Spiel
recht. Aber nein, natürlich sollte in Ihrer Bibliothek nicht gegessen werden. Ich bringe die Sachen nach draußen in die Küche“, stieß Marianne hervor.
„Nein, nein, das ist schon in Ordnung, Miss Trenton. Lassen Sie das Tablett hier. Mrs River wird sich darum kümmern.“
Desmond war jetzt vollends ins Zimmer getreten, und seine Persönlichkeit schien den gesamten Raum zu erfüllen. Die Tür ließ er hinter sich offen.
Desmond ging zu einem der Sessel vor dem Feuer, eben jenem, auf dem sie selbst gesessen hatte, und wies auf den anderen. „Setzen Sie sich“, forderte er sie auf.
Dies klang für Marianne wie ein Befehl, und sie trat in ergebenem Gehorsam an den Sessel, den er ihr zugewiesen hatte, und ließ sich auf der äußersten Kante nieder – das Bild eines nervösen Vogels, der sich zu sofortiger Flucht anschickt. Desmond nahm in seinem Sessel Platz. Als er den Ellbogen auf die Armlehnen legte, klapperte das Tablett.
„Sie werden also die Weihnachtsferien hier verbringen“, sagte er.
Er sprach im Plauderton, und seine Bemerkung war harmlos gewesen. Aber Mariannes Blick wanderte unwillkürlich zu dem Briefstapel auf Desmonds Schreibtisch. Wie konnte er so unbekümmert reden angesichts der Pläne, die er schmiedete, der teuflischen Verschwörung, die er anzettelte?
Marianne holte tief Luft und riss ihren Blick vom Schreibtisch los. „Mrs River hat die Kutsche geschickt“, erwiderte sie zu ihrer Verteidigung. Sie wollte klarstellen, dass es nicht ihre Idee gewesen war zurückzukommen.
„Natürlich. Sie werden sehen, dass Kingsbrook im Winter sehr angenehm ist.“
Marianne schwieg.
Entschlossen, nicht schon wieder zu den Briefen zu sehen, starrte Marianne auf den Fußboden. Mr Desmond rutschte auf seinem Stuhl herum und räusperte sich.
„Gefällt Ihnen Ihre Schule?“, fragte er.
„Sie ist sehr … passend“, antwortete sie nach einer kurzen Pause, um das richtige Wort zu finden.
„Passend“, wiederholte Desmond nachdenklich. „Tja, etwas Besseres konnte man wohl nicht erwarten.“
Die Sessel, in denen sie saßen, hatten breite Ohren und standen dem Feuer zugewandt, sodass er sie nicht deutlich erkennen konnte. Sie bedauerte das nicht und sagte sich, dass sie ihn ebenfalls nicht sehen wollte. Doch ihr Blick glitt vom Boden zu seinen scharfen Bügelfalten und seinen auf Hochglanz polierten Schuhen weiter nach oben. Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder sein zerzaustes Haar und fragte sich abwesend, wie ein Mann, der solche Sorgfalt auf seine Garderobe verwendete, seine Körperpflege so vernachlässigen konnte.
Allerdings scheint sein Körper nicht gerade vor dem Verfall zu stehen, überlegte sie und runzelte dann die Stirn über ihre schändlichen Gedanken.
„Mrs River hat mir berichtet, Sie seien seit Ihrem Eintritt in die Akademie nicht nach Kingsbrook zurückgekehrt.“
„Nein, Sir“, antwortete Marianne mit schwacher Stimme.
Von Neuem saßen sie eine Weile schweigend da. Desmond rutschte wieder auf seinem Sessel herum, und Marianne schluckte hörbar.
„Wirklich, Miss Trenton, Sie dürfen nicht das Gefühl haben, Sie seien auf die Farnham-Akademie verbannt worden“, sagte Desmond schließlich.
„Mir geht es dort ganz ausgezeichnet“, beteuerte sie schnell.
„Das hoffe ich“, meinte Desmond. „Aber trotzdem ist sie bloß eine Schule. Es kann doch nicht angenehm für Sie sein, dort monatelang eingesperrt zu sein. Mrs River berichtete, sie habe Sie bei zahlreichen Gelegenheiten nach Kingsbrook eingeladen, aber Sie seien ihr immer ausgewichen und hätten angeführt, Ihre Studien hielten Sie so sehr beschäftigt, dass Sie nicht fort könnten. Glauben Sie mir, Miss Trenton, ich weiß, wie fleißig Schülerinnen in Ihrem Alter normalerweise sind, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Ihre Bücher Sie sechs Monate lang nicht losgelassen haben.“
„Für gewöhnlich ist das schon so … wenn auch nicht immer“, gestand sie leise.
„Ich habe um dieses halböffentliche Gespräch gebeten …“ Betont blickte er zur Tür, und Marianne musste sich eingestehen, dass er nicht etwa vergessen hatte, sie zu schließen, sondern sie mit Absicht offengelassen hatte, „… weil ich fürchtete, wir müssten ein Thema anschneiden, das für uns beide schmerzlich ist.“
Er neigte sich in seinem Sessel nach vorn, sodass er sie jetzt deutlich sah. Seine dunklen Augen befanden sich auf einer Höhe mit ihren, und er konnte ihr fest in die großen grünen Augen
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