Herz im Spiel
jetzt so weit offen, dass Marianne erkennen konnte, wie die Frau mit einem Nicken zur Straße und auf die Kutsche wies.
„Mr Rickers hat mich von Kingsbrook hierher gefahren. Er ist bei Mr Desmond angestellt und ein alter Freund. Den jüngeren Herrn hat offensichtlich die Universität geschickt.“
„Sie kennen ihn nicht?“
„Er scheint sehr nett zu sein“, entgegnete Marianne ruhig.
„Das werden wir ja sehen“, meinte Mrs Simmons und klang, als habe sie da gewisse Vorbehalte. Ihr Tonfall hätte Mrs River gefallen.
Die Männer kamen jetzt auf die Tür zu. Den Koffer trugen sie zwischen sich, sodass Mrs Simmons genötigt war, die Tür ganz zu öffnen, um sie durchzulassen.
Die Vermieterin trug eine graue Haube, und auf ihrem Gesicht lag ein verdrießlicher Ausdruck. Sie war bestimmt nicht immer so vergrämt gewesen, aber das Leben hatte sie eben Lektionen gelehrt. Sie ließ die Männer zwar ein, doch sie blieb ihnen dicht auf den Fersen und erteilte ihnen mit barscher Stimme Anweisungen. „Diese Stufen hinauf. Am Treppenabsatz vorbei, dort entlang. Jetzt über diesen Flur. Die zweite Tür links. Da hinein. Stellen Sie den Koffer am Fußende des Bettes ab. Und jetzt hinaus. Dies ist das Zimmer einer Dame.“
Auf dem Rückweg folgte sie den beiden ebenso dichtauf, vorbei an Marianne, die immer noch unten an der Treppe stand.
„So, und Sie sind also Miss Trenton?“, fragte Mrs Simmons, nachdem die Männer die Tür hinter sich geschlossen hatten.
„Das bin ich“, bestätigte Marianne.
„Aus Farnham, soviel ich weiß.“
„In Farnham bin ich nur zur Schule gegangen. Zuhause bin ich auf einem Anwesen südlich von hier, dem Besitz von Mr Peter Desmond, mit dem Sie, glaube ich, gesprochen haben.“
„Ach ja, Mr Desmond. Wir haben korrespondiert, aber persönlich habe ich den Gentleman nicht kennengelernt“, sagte Mrs Simmons.
Das überraschte Marianne nicht. Hätte Mrs Simmons ihren Vormund mit seinem finsteren Blick und seiner widerspenstigen Mähne je zu Gesicht bekommen, hätte sie Marianne gewiss nicht in ihr Haus aufgenommen.
„Ich denke, Sie sollten jetzt besser Ihre Begleiter verabschieden. Und Sie können ihnen und allen zukünftigen Besuchern mitteilen, dass ich keine Männer im Haus dulde. Ihre Verehrer dürfen Sie aufsuchen, aber Sie müssen an der Tür mit ihnen sprechen.“
„Verehrer habe ich keine, Mrs Simmons. Besuchen wird mich wohl nur mein Vormund, obwohl ich ihm von Ihren Bestimmungen berichten werde“, versicherte Marianne.
„Mr Desmond darf natürlich hereinkommen“, erwiderte die Witwe, aber Marianne nahm sich vor, Mr Desmonds persönliche Vorstellung abzuwarten, ehe sie Mrs Simmons beim Wort nahm.
Marianne folgte dem Rat ihrer Vermieterin und trat nach draußen, um Rickers fortzuschicken und dem jungen Mann noch einmal zu danken.
„Wir warten auf eine Nachricht von Ihnen, Miss Marianne“, sagte der Kutscher und legte einen Finger an seine Mütze, Rickers’ übliche Ehrerbietung ihr gegenüber.
„Und sagen Sie Mrs River, dass hier alles sicher und respektabel ist“, rief Marianne ihm nach, als er auf den Kutschbock kletterte. „Und Sie richten bitte den Herren an der Universität aus, dass ich ihre Hilfe und Zuvorkommenheit zu schätzen weiß“, erklärte sie dem jungen Mann, der immer noch dastand.
Brewster runzelte kurz die Stirn und lächelte ihr dann zu. „Das war bloß der Professor, Miss. Aber ich sage es ihm. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragte er und blickte sich hoffnungsvoll um. Aber es gab nichts zu sehen außer Mrs Simmons’ gepflegtem kleinen Vorgarten.
„Ich glaube nicht“, erwiderte Marianne.
Mr Brewster setzte eine merkwürdig enttäuschte Miene auf. „Dann gehe ich wohl besser.“
Marianne lächelte. Sie pflichtete ihm nicht mit Worten bei, doch sie widersprach ihm auch nicht.
„Aber ich hatte ja ganz vergessen“, rief Brewster, und seine Miene hellte sich auf, „dass ich Sie morgen vielleicht in der Vorlesung sehe.“
„In der Vorlesung?“, fragte Marianne.
„Wahrscheinlich“, erklärte Brewster. „Sie haben sich für das Literatur-Seminar eingeschrieben, genau wie ich.“
Nach einigen weiteren Bemerkungen über den Unterricht und die Dozenten trat der junge Mann den Rückzug in Richtung Straße an. Aber er ging langsam, als hoffe er immer noch, ihm würde ein brillantes Gesprächsthema einfallen, mit dem er seinen Aufenthalt in die Länge ziehen könnte.
Doch das geschah nicht, und als er endlich auf
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