Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herz im Spiel

Herz im Spiel

Titel: Herz im Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Cheney
Vom Netzwerk:
„Können wir bitte gehen?“, fragte sie drängend.
    „Sind Sie denn schon fertig?“, fragte Desmond zweifelnd und sah auf ihren Teller herab, auf dem Roastbeef und Yorkshire-Pudding fast unberührt lagen.
    Ungeduldig schob Marianne ihren Teller weg, und Desmond stand achselzuckend auf. Die Rechnung hatte er schon bei der Bestellung beglichen. „Zuerst das Geld, dann das Essen“ war die weise Regel in dieser Studentenkneipe. Daher brauchte er jetzt nur Mariannes Arm zu nehmen und sie aus dem grell erleuchteten, lauten Gasthaus zu geleiten.
    Draußen an der kühlen, frischen Luft stieß Marianne einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Drinnen hatte sie sich gefühlt, als würde sie gleich ersticken, und nun holte sie mehrmals Luft, um sich zu beruhigen, bevor sie zu sprechen versuchte.

    Desmond, der bisher ständig ein leichtes, belangloses Gespräch in Gang gehalten hatte, schwieg ebenfalls. Offenkundig spürte er, dass Marianne etwas Ruhe brauchte, eine Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen.
    „Warum haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie Dozent sind?“, fragte sie schließlich.
    „Ich bin ja noch nicht lange Hochschullehrer“, meinte Desmond.
    „Wie lange genau?“
    Er lächelte. „Wie spät ist es?“
    Sie war eher verwirrt als amüsiert über seinen Witz. „Dann sind Sie nicht immer Dozent gewesen?“, fragte sie vorsichtig.
    „Gott im Himmel, nein!“, rief Desmond aus. „Bis vor einem Monat war ich immer genau das, was ich zu sein schien, nämlich ein Herumtreiber und Taugenichts.“
    „Aber Dekan Brimley hat getan, als kenne er Sie seit Jahren“, erinnerte Marianne ihn.
    „Ja, nun, der Dekan war mein Literaturdozent, als ich an genau diesem Institut studiert habe. Ich habe mich immer schon für klassische Literatur interessiert, und was er große Begabung nannte, war einfach meine Neigung“, erklärte Desmond bescheiden.
    „Dann sind Sie vorher nicht Professor gewesen?“, fragte Marianne. „Dies ist eine neue Stelle? Sie sind an die Universität gegangen, um mich im Auge zu behalten.“
    „So scheint es zweifellos, aber …“
    „Um meine Studien zu überwachen und meinen Umgang zu kontrollieren“, warf Marianne ihm vor.
    „Nicht direkt“, sagte Desmond.
    „Warum sollten Sie sonst plötzlich eine Dozentenstelle annehmen, eine Position, die Ihnen so wenig entspricht?“, wollte Marianne wissen.
    „Einfach ausgedrückt, weil ich das Geld brauchte“, erklärte Desmond, und seiner Stimme merkte man an, dass ihm das Geständnis peinlich war.
    Marianne lachte verächtlich, um anzudeuten, wie viel Glauben sie dieser Erklärung schenkte.
    „Ich schwöre, das ist die Wahrheit. In den letzten Monaten hat sich meine Finanzlage … sehr verschlechtert. Ich war gezwungen, mir eine Stellung zu suchen“, meinte er.
    „Was ist mit Ihren Spielgewinnen?“, fragte Marianne.
    „Ich fürchte, ich brauchte ein zuverlässigeres Einkommen. London und die europäischen Metropolen sind manchmal sehr glanzvoll und aufregend, aber sie sind immer kostspielig, und der Großteil der Summen, die ich vom Spieltisch mitnahm, habe ich gleich wieder in den Hotels, in denen ich gewohnt habe, gelassen. Nein“, fuhr er kopfschüttelnd fort, „ich musste Geld verdienen. Und ich gebe zu, als Sie an die Universität aufgenommen wurden, kam mir der Gedanke, es dort auch zu versuchen, allerdings als Lehrender.“
    „Und dann sind Sie so ganz einfach Dozent geworden?“, fragte Marianne zweifelnd.
    „Ganz so einfach war es nicht. Dekan Brimley hat meine Ausbildung geleitet, als ich hier studierte, und mich seit meinem Abschluss regelmäßig an diese Qualifikation erinnert. Was meine mangelnde Eignung für diesen Beruf angeht, so muss ich Ihren Vorwurf zurückweisen, obwohl mich das nicht weniger erstaunt als Sie. Ich habe festgestellt, dass ich mich tatsächlich zum Dozenten eigne. Mit der Materie kenne ich mich gut aus, und ich finde die jungen Herren – und Damen – angenehm und ihre Wissbegierde erfrischend. Lieber Himmel, ich klinge ja schon wie der alte Brimley“, rief Desmond aus und beendete seine kleine Rede mit einem leisen, betretenen Auflachen.
    Marianne mochte es nicht erwidern, und so gingen sie einen Moment schweigend weiter. Desmond hielt sich in der Stadt keine Kutsche, und eine zu mieten schien ein unnötiger Luxus. Heute Abend hatte er daran gedacht, aber nun war er ganz froh, dass seine frisch erworbene Sparsamkeit ihn davon abgehalten und er sich schließlich gegen Pferd und Einspänner

Weitere Kostenlose Bücher