Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herz im Spiel

Herz im Spiel

Titel: Herz im Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Cheney
Vom Netzwerk:
aufmerksam dem Professor zu, der eben an der Tafel die Werke auflistete, die sie dieses Jahr durchnehmen würden: Die Orestie des Aeschylos, Euripides’ Iphigenie auf Tauris und Ciceros Fünf Kanone der Rhetorik .
    „Sie sind spät daran, Mr Brewster“, bemerkte der Dozent, ohne sich umzudrehen.
    Nun reckten auch die anderen Studenten die Köpfe, um die Zuspätgekommenen zu betrachten. Brewster schnitten sie spöttische Grimassen, aber als sie Marianne bei ihm entdeckten, rissen sie verblüfft die Augen auf.
    „Und dies ist unsere neue Studentin, Miss Trenton. Ich erwarte, dass Sie ihr rücksichtsvoll und mit allem Respekt begegnen. Habe ich mich klar ausgedrückt, Gentlemen?“, fragte der Dozent und wandte sich von der Tafel ab, um seine Studenten anzusehen.
    „Ja, Mr Desmond“, antworteten die jungen Männer, die endlich ihre Sprache wiedergefunden hatten.

12. KAPITEL
    „Ich hoffe, Sie fanden den ersten Tag Ihres Studiums interessant, wenigstens weit spannender als Ihre Benimm- und Sprecherziehungsstunden in Farnham. Zumindest vermute ich das, nach allem, was Sie über die Akademie erzählt haben. Ich fürchte, das Roastbeef ist ein wenig zäh, aber dieses Gasthaus bewirtet eben Studenten und Dozenten mit beschränktem Einkommen. Der Yorkshire-Pudding ist ausgezeichnet.“
    Mr Desmond hatte Marianne aufgestöbert, nachdem die Vorlesung vorüber war. Schwierig war das nicht gewesen, da sie eine von nur drei Frauen auf dem Universitätsgelände war. Er hatte sie eingeladen, mit ihm zu Abend zu essen. Nun saßen sie zusammen an einem schmalen Tisch im „Treemore Inn“, einem einfachen kleinen Lokal, das voll lärmender junger Studenten war.
    Der Radau und Mr Desmonds Bemerkungen trugen dazu bei, die Tatsache zu verhehlen, dass Marianne kein Wort sagte. Zwei Personen jedoch waren sich ihrer Zurückhaltung bewusst: Marianne selbst und ihr Vormund.
    Am Ende seines neuerlichen Monologs angekommen, wies Desmond auf das weiche Stück Eierkuchen auf Mariannes Teller. Gehorsam stach sie ein Stück ab und tunkte es in die Soße, bevor sie es in den Mund schob.
    Desmond holte tief Luft und wollte schon zu einer weiteren Reihe von Kommentaren anheben, als ein älterer Herr an den Tisch trat und ihn mit einem Begeisterungsschrei unterbrach.
    „Desmond, alter Knabe! Schön, Sie endlich hier zu sehen. Und wenn ich mich nicht irre, sitzen Sie hier mit einer unserer viel gerühmten neuen Studentinnen beim Essen.“
    „Darf ich Ihnen mein Mündel vorstellen? Miss Marianne Trenton. Miss Trenton, dies ist Dekan Brimley“, sagte Desmond gelassen.
    „Ihr Mündel? Da haben Sie sich wohl an der Universität eingeschrieben, um unseren neuen Professor im Auge zu behalten, wie?“, meinte er an Marianne gewandt. „Seit Jahren erzähle ich Desmond jetzt schon, er solle doch seine gediegene Ausbildung nutzbringend anwenden. Brimley, meine Liebe. Warren Brimley. Dekan der altsprachlichen Fakultät.“
    Der Mann schien zu massiv für den überfüllten Raum – nicht unbedingt von seiner Körpergröße her, sondern aufgrund seiner dominierenden Persönlichkeit, die Marianne mit der Macht einer Sturmbö in ihren Stuhl zu drücken schien. Nun ragte er bedrohlich über ihr auf und schob ihr seine blasse, fleischige Hand ins Gesicht. Da ihr nichts anderes übrig blieb, reichte sie ihm die Hand zum Gruß und sah bestürzt, wie diese in seiner Pranke völlig verschwand.
    „Ich sehe schon, Sie haben sich gleich in das Leben auf dem Campus gestürzt. Wahrscheinlich die beste Art, sich einzugewöhnen.“
    „Eigentlich wollten wir nur zu Abend essen“, entgegnete Desmond kühl. Er klang nicht unfreundlich, aber auch nicht gerade einladend. Er konnte, selbst wenn Brimley dazu nicht in der Lage war, an Mariannes Blick ablesen, dass sie schon jetzt fast am Ende ihrer Nerven war.
    „Oh. Ja, natürlich“, sagte der andere. Desmonds kühle Art hatte seinen Elan merklich gedämpft. „War nett, Sie kennenzulernen Miss Trenton, und eine Freude, Sie endlich bei uns zu haben, Peter, mein Junge. Ich schätze, ich suche mir lieber einen Platz. Ganz schön voll heute Abend, scheint mir.“ Brimley blickte auf Mariannes und Desmonds Tisch hinunter. Er stand an der Wand, und die beiden saßen einander gegenüber, aber Desmond bot Brimley den freien Platz nicht an. So wandte der Gentleman sich schließlich ab und drängte sich durch die Menge, um sich einen anderen Tisch zu suchen.
    Sobald er außer Hörweite war, beugte Marianne sich nach vorn.

Weitere Kostenlose Bücher