Herz im Spiel
nachsichtig. Der junge Brewster war offensichtlich einer seiner Favoriten. „Sie könnten es schlechter treffen.“
„Oh ja, es könnte viel schlimmer kommen.“
„Ich finde, Sie sollten Mr Brewster wiedersehen“, schlug Desmond vor.
„Das werde ich sicherlich. Wir haben zwei oder drei Seminare zusammen.“
„Ich meinte, außerhalb der Universität.“ Er wollte, dass sie genau verstand, worauf er hinauswollte.
Marianne war nicht dumm, und zudem waren Desmonds Anspielungen nicht so subtil, dass man sie hätte missdeuten können. Sie seufzte tief.
„Ja, schon gut, Mr Brewster ist ein lieber Junge, und ich wäre geschmeichelt, wenn er sich mit mir verabreden würde. Bitte richten Sie ihm das von mir aus“, sagte sie und gab sich geschlagen.
Sie waren vor Mrs Simmons’ Gartentor angekommen. Langsam löste Desmond ihre Hand von seinem Arm.
„Das können Sie ihm selbst mitteilen“, erklärte er. „Ich glaube, Sie und Mr Brewster werden viel Zeit miteinander verbringen.“
Marianne war zwar lernwillig und ihr Vormund ein fähiger Dozent, aber dennoch war es für junge Frauen Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht einfach, akademische Weihen zu erlangen. Marianne und die beiden weiteren an der Universität von Reading eingeschriebenen Studentinnen hatten es schwer.
Eine der jungen Damen war bebrillt und schüchtern. Ruhig und unscheinbar saß sie in ihren Seminaren, aber ihre Leistungen und Klausurergebnisse übertrafen die sämtlicher junger Männer an der Hochschule. Miss Tamberlay hätte keine Fliege erschrecken können, obwohl sie in der Lage gewesen wäre, in allen Einzelheiten über den Vorgang der Eiablage zu referieren sowie die Fliege zu sezieren.
Die dritte Frau an der Universität war eine stämmige Dame mittleren Alters und von burschikosem Auftreten. Sie war mehr von Mrs Averys Denkungsart und hatte sich in erster Linie eingeschrieben, weil Frauen im Allgemeinen keine Hochschulen besuchten.
„Die Frauen gehören an die Universitäten“, erklärte sie. „Frauen gehören in die Politik, in die Vorstände der Firmen, an die vorderste Front der Wissenschaft, sogar an die Gerichte. Erst kürzlich sprachen Mr Nebling und ich darüber, und ich sagte: ‚Mr Nebling, gehören die Frauen ins Haus? Möchtest du, dass ich den ganzen Tag bei dir zu Hause sitze?‘ Und er sagte: ‚Das möchte ich nicht, Mrs Nebling.‘ Da bin ich nun, und ich lasse mich auch nicht wieder hinauswerfen, also bringen Sie mir etwas bei, Mr Desmond.“
Diese leidenschaftliche Rede hielt Mrs Nebling, als Mr Desmond sie als neue Studentin in sein Seminar aufnahm. Marianne gefiel Miss Tamberlays Auftreten besser. Sie saß still auf ihrem Platz an der Wand, doch sie fühlte sich genötigt, den Kopf zu wenden und über Mrs Neblings Wagemut und ihre trotzigen Worte zu lächeln.
Und wie sich herausstellte, würde es Mr Desmond schwerfallen, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Mrs Nebling war zwar insgesamt ziemlich unzugänglich, aber vor allem in ihren Kopf wollte absolut nichts hineingehen.
Abends führte Mr Desmond Marianne oft zum Essen aus, doch fast immer lud er einen oder zwei seiner Studenten ein, sie zu begleiten. Das Tischgespräch verlief meist so, dass Marianne höfliche Bemerkungen abgab oder Fragen stellte, die Mr Desmond dann geschickt aufnahm, und den Ball an die jungen Gäste abgab.
„ Oh tempora! Oh mores! , oh diese Zeiten, diese Sitten! Sie erkennen doch das Zitat von Cicero, oder, Miss Trenton? Was halten denn Sie von der heutigen Zeit und ihren Sitten, Mr Collins?“
Ein anderes Mal sagte er: „Miss Trenton findet, der Umstand, dass die Ilias durch die Übertragung ins Englische weiteren Kreisen zugänglich wird, wiege etwaige Ungenauigkeiten in der Übersetzung auf. Wie ist Ihre Meinung, Whitney?“
Es schien, als habe Desmond vor, Marianne mit jedem einzelnen jungen Mann an der Universität bekannt zu machen, und Marianne ließ sich ihrerseits die ungeschickten Kuppelversuche ihres Vormunds mit freundlichem Lächeln widerspruchslos gefallen. Mr Desmond hatte ganz offen gesagt, warum er sie eingeschrieben hatte, aber trotzdem fühlte sie sich nicht verpflichtet, romantische Gefühle für einen ihrer Mitstudenten zu entwickeln.
Die tiefste Zuneigung, die sie empfand, galt dem jungen Bernie Brewster, doch dies war Freundschaft, nicht Liebe.
Desmond bestand stets darauf, dass der junge Brewster Marianne zu Mrs Simmons’ Haus begleitete, und die Witwe, die inzwischen den freundlichen
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