Herz in Gefahr
Zeit?”
“Sagen wir, gegen Mittag?” Judith betrachtete das erschöpfte Gesicht, und plötzlich kam ihr ein verwirrender Gedanke. “Sie sagen, Sie haben nach mir gefragt? Woher wussten Sie meinen Namen?”
“Josh kennt den Reverend Truscott, Ma’am. Wir hören nur Gutes über Sie. Josh war sicher, dass Sie uns helfen würden.”
“Bis morgen dann also, ja?” Judith lächelte freundlich. “Und bitte, kaufen Sie sich etwas zu essen, meine Liebe. Ich fürchte, die Stiefel werden noch etwas warten müssen.”
Judith beschäftigte sich immer noch mit dem Problem, als sie am nächsten Tag nach Piccadilly ging. Sie hatte fast ihr gesamtes Geld für dieses Quartal in ihr Retikül gesteckt. Hoffentlich würde es das arme Mädchen wenigstens für einige Wochen vor dem Hunger retten. Das blasse, gequälte Gesicht ging ihr nicht aus dem Sinn. Wie jung sie war, sicher kaum der Kindheit entwachsen, und sie sah so schwach und zerbrechlich aus.
Ihr Zorn wuchs. Wer war dieser Josh, dieser Mann, den sie erwähnt hatte? Jedenfalls nicht ihr Gatte. Judith hatte keinen Ehering gesehen. Aber ob er ein Verwandter war oder eine Art Beschützer, er hätte in jedem Fall besser auf die arme Seele achtgeben können. Wenn Charles zurückkam, würde sie mit ihm über den Fall sprechen. Vielleicht konnte er etwas tun, um zu helfen.
Sie erreichte Hatchard’s und sah, dass Dan bereits an der Tür auf sie wartete und jetzt auf sie zukam. Seine blauen Augen strahlten vor Freude.
Sie wollte ihn schon begrüßen, da bemerkte sie das Mädchen.
“Dan, möchtest du mich einen Moment entschuldigen?”, sagte sie leise und legte dem Mädchen die Geldbörse in die Hand. “Das wird Ihnen helfen”, sagte sie mit ihrem freundlichsten Lächeln. “Wenn Sie nächste Woche zu mir kommen, werde ich vielleicht mehr für Sie tun können.”
Zu ihrer Überraschung holte das Mädchen ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor und gab es ihr hastig.
“Was ist das?”
“Eine Nachricht, Ma’am.”
“Von wem?”
Das Mädchen sah verstört aus. “Ich darf keine Fragen beantworten”, flüsterte sie und verschwand gleich darauf in der Menge.
“Ein Geheimnis?”, neckte Dan. “Wer war das Mädchen? Bringt sie dir eine Nachricht von einem geheimen Bewunderer?”
“Das bezweifle ich.” Judith entfaltete das Papier. Es waren einige eckig geschriebene Zeilen voller Schreibfehler. “Ich verstehe nicht”, sagte sie und reichte Dan das Papier. “Was sagst du dazu?”
“Der Rewerent sacht, sie soln sich kaine Sorgn machn. Das Meechen weis nichz, also machn sie sich kaine Müe. Der Rewerent komt morgen zurrük.” Dan las die Worte laut vor. “Meine Liebe, dies ist tatsächlich ein Geheimnis. Der ‘Rewerent’ ist wohl Reverend Charles. Warum konnte er dir nicht selbst schreiben?”
“Ich weiß nicht. Vielleicht fürchtete er die Infektionsgefahr?”
“Hat er dir nicht gesagt, er sei immun?”
“Doch.” Judith suchte in der Menge vergebens nach dem Mädchen. “Ach, ich hätte sie nicht gehen lassen sollen. Sie hätte mir vielleicht etwas über Charles und seine Mutter berichten können.”
Dan sah sie nachdenklich an. “Ich fürchte, sie hätte dir nichts gesagt. Du erkennst die Handschrift nicht?” Ein ganz bestimmter Verdacht regte sich in ihm, was den Autor dieser Zeilen anging, aber er sprach ihn klugerweise nicht aus.
“Nein. Er scheint von einem Mann zu sein. Vielleicht von diesem Josh, den das Mädchen erwähnt hat. Charles kennt ihn. Deswegen kannte sie meinen Namen und wusste, wo sie mich finden konnte.”
“Zu welchem Zweck?”
Judith errötete. “Sie brauchte Hilfe.”
“Deswegen hast du ihr also deine Börse gegeben. Meine liebe Judith, Mr Truscott hätte sich darum kümmern sollen.”
“Aber, Dan, er ist doch nicht da, und du konntest doch wohl am Aussehen des armen Geschöpfs erkennen, wie dringend dieser Fall ist.”
Dan erkannte zumindest, dass dieses Gespräch sie aufregte. “Ohne Zweifel wird Mr Truscott alles erklären können, wenn du ihn wiedersiehst”, tröstete er sie. Aber sein Verdacht wurde immer stärker, und er brachte nur mit Mühe ein Lächeln zustande.
“Wollen wir hineingehen?” Er nahm ihren Arm, um sie in den Buchladen zu führen.
Judith schüttelte den Kopf. “Du wirst mich für eine dumme Gans halten, aber ich möchte nicht, Dan. Ich bin nicht mehr in der Stimmung.”
Dan begriff, dass sie ihr gesamtes Geld verschenkt haben musste, und drängte sie nicht weiter. “Weißt du,
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