Herz in Gefahr
ich habe auch eine Nachricht für dich”, sagte er leichthin. “Prudence möchte dich gern sehen. Sie hat mich angefleht, dich zu einem späten Lunch bei uns einzuladen.” Und bevor sie ablehnen konnte, fuhr er fort: “Sie ist heute ganz allein. Perry und Elizabeth besuchen Elizabeths Tante, und wie du dir vorstellen kannst, wird Miss Grantham sie nicht so schnell wieder gehen lassen. Und Sebastian hatte Geschäfte mit seinem Anwalt zu besprechen.”
“Oh, Dan, du hättest sie nicht allein lassen dürfen!”
“Als ich sagte, dass ich dich treffen würde, bestand sie darauf. Komm doch, Judith! Wie ich dir gestern schon sagte, Prudence ist zurzeit sehr bedrückt und braucht unbedingt einen interessanten Gesprächspartner.”
Judith zögerte nur einen Moment. “Man wird mich kaum vor ein, zwei Stunden vermissen. Wenn ich zu Hatchard’s gehe, vergesse ich immer die Zeit.”
Dans Miene erhellte sich, und er lächelte sie strahlend an, als er ihren Arm nahm. “Dann werde ich dich skrupellos entführen”, sagte er. “Sollen wir spazieren gehen, oder soll ich eine Droschke rufen?”
“Ich gehe lieber zu Fuß bei diesem schönen Frühlingswetter.”
Er sah sie mit einem so intensiven Ausdruck an, dass ihr Herz einen Schlag aussetzte. “Ich freue mich jedenfalls über die Gelegenheit, dich ganz für mich allein zu haben.”
Judith wandte den Blick ab und bemerkte erstaunt, dass zwei Damen sie amüsiert anlächelten. Sie errötete. Sie und Dan mussten wie ein Liebespaar wirken. Hastig löste sie sich von ihm.
“Was ist?”, fragte er.
“Wir sollten doch lieber eine Droschke nehmen. Oh, Dan, es ist nicht richtig. Ich sollte nicht mit dir zusammen sein.”
“Warum nicht?”
“Weil ich verlobt bin, und du weißt, dass wir nicht allein zusammen spazieren gehen sollten.”
“Bessie ist nur wenige Schritte hinter uns”, erwiderte er ruhig. “Außerdem sind wir fast schon da.”
“Nein! Ich habe meine Meinung geändert. Ich muss nach Hause.”
Er blieb abrupt stehen, sein Gesicht war jetzt tiefernst. “Judith, wir haben nicht über die Vergangenheit gesprochen. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir das tun.” Ohne auf ihre Antwort zu warten, bog er in die Mount Street ein und hielt ihr in stummer Aufforderung die Hand hin. “Du weißt, dass ich recht habe, meine Liebe. Wir können so nicht weiterleben.”
8. KAPITEL
Judith fehlten die Worte. Selbst jetzt hätte sie noch fliehen können, aber sie blieb wie angewurzelt stehen, während sie versuchte, Ordnung in ihre verwirrten Gedanken zu bringen.
Dan wartete ihre Entscheidung ruhig ab, und endlich flüsterte sie: “Vielleicht hast du recht. Dann werden die Gespenster aus der Vergangenheit endlich Ruhe geben.”
Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken daran, was Dan ihr offensichtlich sagen wollte, schmerzhaft zusammen. Er liebte sie nicht mehr. Sie hatte sich nur etwas vorgemacht, als sie glaubte, dass in seinem Benehmen mehr als freundliche Zuneigung liegen könnte.
Sie musste sich zusammenreißen. Es gab schließlich so etwas wie ein zivilisiertes Benehmen. Tagtäglich wurden Verlobungen gelöst, aber deswegen brach niemandem das Herz. Das Leben ging weiter, und alte Liebende trafen sich wieder, ohne dass sie so litten wie sie in diesem Augenblick.
Blass, aber entschlossen erlaubte sie Dan, sie durch die Halle des Hauses und in die Bibliothek zu führen. Er bot ihr einen Sessel an und begann dann, auf und ab zu gehen.
“Was wolltest du mir sagen?”, fragte sie schließlich.
“So viel, dass ich ein ganzes Leben dazu bräuchte! Meine Liebe, ich möchte dir keinen Kummer bereiten, aber …”
“Uns steht kein ganzes Leben zur Verfügung”, sagte sie tonlos. “In zwei Wochen werde ich verheiratet sein.”
Er kam zu ihr, kniete sich neben sie und nahm ihre Hände in seine. “Sieh mich an!”, bat er sie. “Ich weiß, dass du nicht glücklich bist. Ich habe dich nicht so bedrückt erlebt, seit jenem Tag, an dem wir uns trennten.”
Judith entzog ihm ihre Hände und wandte den Kopf ab.
“Ich bin nur müde. Viele Bräute haben diese Art von schwachen Nerven, habe ich mir sagen lassen. Es ist wegen der Anstrengung und den vielen Vorbereitungen …”
“Liebste”, unterbrach er sie sanft. “Du sprichst mit mir, Dan. Ich kenne jeden Ausdruck deines Gesichts, jede deiner Gesten. Waren wir uns einmal nicht so vertraut, wie ein Mann und eine Frau es nur sein können?”
Judith nahm ihren ganzen Mut zusammen. Er durfte nicht merken, dass die
Weitere Kostenlose Bücher