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Herz ueber Bord

Herz ueber Bord

Titel: Herz ueber Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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hocken. Ich sprang also auf und löste damit eine Art Lemmingreflex aus. Jedenfalls schossen auch alle anderen hoch, packten hastig Butterbrote, Wasserflaschen und Zeitschriften zusammen und stürzten auf die Absperrung zu. Und zu meiner großen Verwunderung machten es die, die eben noch umhergeschlendert waren, etwas gekauft oder in Gruppen zusammengestanden und sich unterhalten hatten, genauso.
    Elodie, sagte ich mir. Du bist etwas Besonderes, du wusstest es nur noch nicht.
    Â»Na, junge Dame, wollen Sie sich denn gar nicht anstellen?«, fragte eine Stimme hinter mir.
    Es kostete mich ungeheure Willenskraft, aber ich schaffte es tatsächlich, nicht herumzuwirbeln, sondern so zu tun, als ob ich mich nicht angesprochen fühlte. Warum sollte hier auch irgendwer mit mir quatschen wollen?
    Im nächsten Moment schob sich ein Kopf in mein Blickfeld, und ich registrierte ein Augenpaar von undefinierbarer Farbe irgendwo zwischen Türkis und Blaugrau, kurze dunkelblonde Locken und ein Lächeln, das ein ausgesprochen seltsames Gefühl unter meinem Brustbein hervorrief.
    Â»Ã„hm, meinten Sie mich?«, fragte ich schnell.
    Â»Allerdings.«
    Der Mann, den ich auf Mitte dreißig schätzte und der dermaßen überirdisch gut aussah, dass es beinahe schon gruselig war, zog seine Mundwinkel noch ein Stück weiter auseinander und entblößte eine Reihe beeindruckend kräftiger Zähne. Unwillkürlich kam mir die Sache mit Rotkäppchen, ihrer Großmutter und dem bösen Wolf in den Sinn.
    Â»Wenn Sie sich jetzt nicht anstellen, ist Ihnen einer der sechs schlechtesten Plätze garantiert.«
    Â»Ã„h …?« Wahrscheinlich sah ich aus wie ein Kaninchen, das versehentlich ein Ei gelegt hatte.
    Der Mann lachte jetzt geradeheraus. »Kommen Sie«, sagte er und tippte mir an die Schulter. »Ich werde auf Sie aufpassen.«
    Â»Vielen Dank«, erwiderte ich. Den Kommentar, ihn doch eigentlich gar nicht darum gebeten zu haben, verkniff ich mir. Außerdem war ich mit der Stelle beschäftigt, an der er mich berührt hatte. Es war Mitte März, ich trug meine dunkelgrüne gefütterte Cabanjacke, und trotzdem spürte ich eindeutig Kälte, und zwar direkt auf meiner Haut, klar abgegrenzt und exakt von der Größe einer Fingerkuppe.
    Â»Wenn ich mich vorstellen darf … mein Name ist Javen. Javen Spinx.«
    Â»Oh«, sagte ich, und dann war ich erst mal für eine ganze Weile still, denn in diesem Moment wurde die Absperrung geöffnet, und die Menschentraube, in der auch Mister Spinx und ich inzwischen eingequetscht waren, schob sich mit einem Ruck nach vorn. Da fiel mir ein, dass die Tickets keine Platznummern hatten, und mit einem Schlag wurde mir klar, was der Lemmingreflex zu bedeuten hatte.
    Â»Haben Sie Ihre Bordkarte zur Hand?«, hörte ich Javen Spinx neben mir fragen. Unsere Oberarme wurden gegeneinandergedrückt, und ich stellte verwundert fest, dass diese Berührung keine Kälte verursachte.
    Natürlich hatte ich das Ticket nicht zur Hand. Es steckte im Seitenfach meines Rucksacks, dessen Riemen ich fest umklammert hielt und der gerade irgendwo auf Kniehöhe klemmte. Ich spannte die Muskeln an und zerrte ihn unter leisem Stöhnen nach oben, in diesem Gedränge war jedoch kein Denken daran, das Seitenfach zu öffnen.
    Ich ließ mich also weiter nach vorn schieben, gab mich dabei dem ulkigen Gefühl hin, nicht selber laufen zu müssen, sondern gelaufen zu werden, dachte an Frederiks Grübchen und versuchte, nicht durchzudrehen. Meine Knöchel fingen an zu jucken, was sie normalerweise eigentlich nur dann taten, wenn zu viel Wasser in Sichtweite war. Sie juckten beidseitig und immer an beiden Beinen; und besonders in Situationen, in denen es kein Zurück gab, ging das Jucken auch noch in ein fieses Brennen über, das sich bis zu meinen Oberschenkeln hinaufzog. Offensichtlich spürte mein Körper bereits, dass ich in den nächsten Monaten regelrecht von Wasser umzingelt sein würde.

    Vielleicht war Javen Spinx’ Einfluss so stark wie Sinas, Mams und Pas zusammen. Er zog das Ticket aus meinem Rucksack, lotste mich zielsicher in die Mitte des Fliegers, drückte mich direkt am Gang auf einen Sitz, erklärte mir den Anschnallgurt und dass ich ein Glückskind wäre und verschwand. Na ja, vielleicht war er auch so etwas wie ein Schutzengel. Zumindest wäre das eine Erklärung für die

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