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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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verlorene Organ war, schlug einen wilden hoffnungsvollen Takt.
     
    Irene legte beide Hände fest um das Lenkrad. »Was für eine Zeit … Diese Mischung aus Grauen und Horror, diese Ungewissheit und diese Angst und dann noch du … Das hat mich alles durcheinandergebracht und ich kann nicht mehr klar denken.«
     
    Ich konnte die Adern auf ihren schönen Händen sehen und fühlte, wie diese Hände meine Brust berührt hatten. Du musst nicht denken, wollte ich sagen, Herta Müller soll denken, die macht das prima, wir beide sollten fühlen.
     
    »Aber ich weiß, dass ich Markus heiraten möchte und ihn nicht belügen will. Also müssen wir heute eine klare Linie ziehen und uns sicher auch erst mal weniger sehen. Ob unsere Freundschaft nach meiner Hochzeit ihren Platz findet, müssen wir dann schauen. So etwas wie gestern Nacht darf auf keinen Fall mehr vorkommen. Das will ich auch einfach nicht!« Sie schlug beim letzten Satz mit den Handflächen auf den Lederkranz. Ihre Stimme hatte einen Klang, den ich nicht kannte. Kantig, hart und gepresst, wie Kohle, dachte ich und musste zugeben, dass das zumindest zur Region passte.
     
    Dieses Mal zerplatzte mein Herz nicht, sondern gab mit einem kläglichen Zischen, das an ein angestochenes Gummitier erinnerte, den wilden Takt an den Magen ab, der ihn willig aufnahm und verstärkte. In meinem Brustkorb wurde es wieder still, während der Rest des Körpers zerschlagen vibrierte. Das Herz-Gummitier verlor stetig an Luft und Form, es sah jetzt schon wie ein faltiger, alter Luftballon aus. Ich sah in die Nacht hinaus. Auf dem Gitterzaun um den Gasometer hockten zwei Tauben und so verzweifelt, wie sie die Köpfe hin und her warfen, schienen sie ein ähnliches Thema zu haben. Die Rechte riss jetzt ein letztes Mal den kleinen Kopf hoch und flog dann energisch davon. Vielleicht sollte ich das auch tun.
     
    »Bringst du mich bitte nach Hause?« Ich drückte den Gurt, den ich spielerisch gelöst hatte, heftig in seine Sicherung.
     
    »Mehr sagst du nicht dazu.« Irene klang enttäuscht, so als hätte sie heimlich gehofft, dass ich ihr jetzt mit unglaublich guten Argumenten ihr Vorhaben ausredete. Aber mir fehlte die Kraft zum Ausreden, mir fehlte sogar die Kraft zum Sitzen. »Was soll ich dazu sagen? Du hast dich entschieden und selbst wenn ich dagegen stimme, steht es immer noch nur eins zu eins. Fahr bitte.«
     
    Sie startete den Motor und fegte mit durchdrehenden Reifen einen Schotterschwarm hinter uns in die Nacht. Vor unserem Haus verabschiedeten wir uns nicht einmal unfreundlich, nur müde und hoffnungslos. Als ich schon ausgestiegen war, ließ sie die Scheibe der Beifahrertür hinab und rief mir hinterher. »Charly!«
     
    Ich drehte mich um und der winzige Funken Hoffnung, der kurz erglüht war, erlosch schon im kühlen Wind der Drehbewegung. »Ja?«
     
    »Ich rufe dich an.« Irene legte den Kopf schräg, um mich durch das Fenster anzusehen.
     
    »Ja, ich weiß, das hast du schon geschrieben.« Ich ging auf das dunkle Haus zu und freute mich auf den Anblick der blutigen Wand.  
     

Ihre Nummer zu löschen,
     
    war zwar sinnlos, da ich sie mittlerweile auswendig kannte, aber es gab mir ein Gefühl von Macht zurück.
     
    »Siehst du …«, sagte ich zu Nana Mouskouri, die etwas verloren neben dem Bett lag. »So mache ich das! Ein Knopfdruck und meine Probleme sind gelöst.« Nana Mouskouri war sichtlich beeindruckt.
     
    Dann bezog ich das Bett neu, nahm mir ein Glas Wasser und setzte mich auf den Boden, neben die Abdeckfolie, die aussah, als hätte sich jemand genau hier die Pulsadern aufgeschnitten. Spritzer, Flecken, Punkte und eine kleine blutige Lache in einer tiefen Falte zeugten von der Kraft, mit der das ahnungslose Herz den Lebenssaft unermüdlich in die Freiheit gepumpt hatte. Oder von der Nachlässigkeit, mit der ich Rolle und Pinsel bewegt hatte. Die rote Wand war zwar noch nicht ganz trocken, aber auch auf ihr war schon zu erkennen, dass sie wenig von ihrem blutroten Glanz verlieren würde. Schön, dass ich sie ausgerechnet an diesem Abend gestrichen hatte, so hatte ich die verblassenden Erinnerungen zeitnah mit frischem, feuerrotem, lange sichtbarem Schmerz getauscht.
     
    Baby, die am nächsten Tag braungebrannt vor der Wand stand, wollte ihren Augen nicht trauen. »Was bitte ist das?«
     
    »Eine Wand.«
     
    »Hast du die zufällig gestern Abend mit Herzblut gestrichen? Bist du deshalb so blass?« Sie griff mit einer Hand unter mein Kinn und hob

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