Herz und Fuß
der Liebe machten mich plötzlich wütend. Ich rannte in den Keller und suchte nach der roten Farbe, die ErzEngel in einem Sonderangebot entdeckt, für die sie aber, genau wie für die vielen Haferflocken, meines Wissens noch keine Verwendung gefunden hatte. Ich hatte damals die Ehre gehabt die 12,5 Liter mit dem Auto abholen zu dürfen. 12,5 Liter mussten doch für zwei wütende aber saubere Anstriche reichen. Die Farbe stand genau dort, wo ich sie vor einigen Jahren abgestellt hatte. Neben ihr stand aber jetzt eine kleine Kiste mit Futter für Teichfische. Mich wunderte nicht, dass sie noch fest verschlossen war, denn wir hatten keinen Teich, was dem durchschnittlichen Fisch das Leben in unserem Garten auch mit Futter schwer machen würde. Zusammen mit dem Rest einer Abdeckfolie, einer Rolle Klebeband und diversen Streichwerkzeugen schleppte ich den Eimer nach oben. Dann legte ich eine CD aus meiner Heavy-Metal-Phase in den Player und drehte den Lautstärkeregler auf zehn. Als mir der erste Schlagzeugeinsatz ins Ohr fuhr und Hammer, Amboss und Steigbügel nacheinander zerschmetterte, ließ ich den Regler schnell wieder bei Zimmerlautstärke einrasten.
Während ich mit einem alten Kochlöffel im Farbtopf rührte, wurde mir schon klar, wie das ungewöhnlich schreiende Rot es auf die Resterampe geschafft hatte, aber ich fand den Farbton für meinen Seelenzustand angemessen und verteilte ihn im Rhythmus der dezent wummernden Bässe großzügig über die sauber abgeklebte Wand. Nach zwei Stunden erstrahlte das ehemals arrogante Weiß wie die Oberfläche einer glühenden Herdplatte und ich kniete abgekämpft und rotbespritzt auf der Folie.
Der ungewohnte SMS-Ton, der aus ErzEngels altem Handy erklang, flocht sich zwar geschickt in den dicken Klangteppich, aber nicht so geschickt, dass ich ihn nicht wahrgenommen hätte.
»Hast du Lust, mit mir durch die Stadt zu fahren?« Das feuchtglühende Rot auf der Wand schien lebendig zu werden und zu pulsieren.
»Gib mir dreißig Minuten«, schrieb ich und rieb mir schon beim Schreiben die Farbe von den Händen. Auf dem Weg in die Dusche folgte mir ihre digitale Antwort.
»Ich hole dich in einer halben Stunde ab. Komm einfach nach unten.«
Ihr Wagen parkte dort,
wo der zu unserem Schutz eingeteilte Streifenwagen auch gestanden hatte. Wie er hatte sie den Motor ausgeschaltet und wartete in der Dunkelheit. Ich setzte mich neben sie auf den Beifahrersitz, sie ließ den Wagen sofort an und fuhr so zügig los, als wäre ich gerade mit der Beute aus unserem Banküberfall in den Fluchtwegen gesprungen. Eine Weile jagten wir mit zu hohem Tempo durch die Stadt und ich verweilte in meiner Bonnie-und-Clyde-Fantasie, bis mir einfiel, wie die Sache zu Ende gegangen war.
»Sind wir auf der Flucht?« Ich versuchte es mit Humor und wagte kaum, zu ihr hinüberzusehen. Sie drosselte das Tempo, ohne mir zu antworten, und so blieb es zwischen uns still. Im Radio erzählte Herta Müller leise über ihre Kindheit in Rumänien. Wenn ich es richtig verstand, hatte sie es nicht leicht gehabt.
»Schön, dass du gekommen bist«, sagte Irene schließlich, als wir an einer roten Ampel halten mussten, und unterbrach damit eine lange, eloquente Betrachtung der Nobelpreisträgerin. Wir sahen uns weiterhin nicht an, sondern betrachteten das runde, rote Licht, als übertrüge es eine geheime Botschaft. Es wurde gelb und dann grün und wir fuhren wieder an.
»Ich freu mich sehr, dich zu sehen.« Ich machte es mir einfach und sagte, was ich fühlte, sie nickte, was ich nur im Augenwinkel sah. Die nächsten Ampeln winkten uns mit arrogantem, orangenem Blinken durch und wir fuhren auf die Stadtautobahn. Irene schien ein Ziel zu haben und ich war nicht überrascht, dass ich die Richtung kannte. An der nächsten Abfahrt leuchtete der blaue Kranz um den dunklen Gasometer weithin sichtbar in die Dunkelheit. Sie lenkte den Wagen auf den unbefestigten Parkplatz vor der Kasse und machte den Motor aus. Wir schwiegen und schauten beide in die Höhe. Den Riesen am Kanal hatten ihn die Menschen hier schon immer genannt und wirklich stand er jetzt dort, wie ein stummer Wächter in der Nacht. Warum waren wir hier, an dem Ort, an dem wir uns zum ersten Mal gesehen hatten? Ich fragte das wirklich nicht laut und sie antwortete doch.
»Seit ich dich dort oben getroffen habe, ist in meinem Leben nichts mehr so wie vorher.«
Mein Herz, und ich war jetzt sicher, dass es das
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