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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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Kopfbedeckung und ausreichend Flüssigkeit befohlen und so stand sie jetzt mit einem alten Cowboyhut auf den geflochten Zöpfen zwischen den Salatreihen und sah aus wie eine in die Jahre gekommene Nschotschi. Auf der Kellertreppe stand eine große Flasche Mineralwasser, aus der sie regelmäßig trank.
     
    Mein Bruder hatte mich in der Küche abgefangen und brüllte mir seine Meinung unschön ins Ohr. Ich unterdrückte den Wunsch, ihn mit der Spülbürste niederzuschlagen. Nur ein winziges Zucken, das eine kleine Welle im Spülwasser hinterließ, verriet meine Gedanken.
     
    »Heiner, deine Meinung ist für die Einschätzung der Ärzte zum Glück nicht relevant. Sie ist an ihren Hausarzt überwiesen, nimmt ein paar Medikamente zur Kräftigung und ist ansonsten vollkommen gesund. Und sie wohnt ja nun auch nicht allein. Ich bin ja auch noch da.«
     
    »Ach ja?« Er baute sich neben mir auf. Im Spülwasser wurde ein Wellenbad eröffnet.
     
    »Wo warst du denn, als sie verschwunden ist? Als meine Söhne tagelang fürchten mussten, dass ihre geliebte Oma das Opfer einer Mordserie geworden war? Und jetzt, wo wir wissen, dass sie nur dement wird, da habe ich doch auch keine ruhige Minute mehr. Wer weiß denn, wann sie das nächste Mal verschwindet! Und wer weiß, wo du dich dann gerade herumtreibst?«
     
    Sein Tonfall war zu gleichen Teilen böser Großgrundbesitzer im Heimatfilm und selbstgerechter Staatsanwalt in nachmittäglicher Gerichtssendung mit einem kleinen Schuss weinerlicher Durchschnittsbürger bei einer Straßenbefragung. Und wie in allen diesen Fällen hätte ich jetzt gerne umgeschaltet. Ich trocknete mir die Hände ab und schaute auf mein neues iPhone, um herauszufinden, ob es möglicherweise ein App gab, das meinen Bruder in kleine Pixel zerlegte und auf einer Datenwolke im Internet speicherte. Es wurde noch nichts in dieser Richtung zum Kauf angeboten, ich würde Steve Jobs anrufen müssen. Heiner folgte mir von der Küche, die ich wortlos verließ, ins Wohnzimmer. Sein Hinweis darauf, dass ich nicht da gewesen war, hatte gemeinerweise immer noch aktive Schuldgefühle getroffen und es ging mir wieder schlecht. Das würde ich nicht zulassen.
     
    »Auch wenn du es nicht gerne hörst: Sie wird nicht dement! Brauchst du das Geld aus dem Erbe so dringend?« Ich musterte ihn verächtlich, weil ich wusste, dass ihn schon die leiseste Andeutung, er könne nicht erfolgreich sein, wahnsinnig machte.
     
    »Ich brauche kein Geld. Ich übernehme Verantwortung, etwas, zu dem du gar nicht fähig bist.«
     
    Wir standen uns, wie so oft in unserer Kindheit, wutentbrannt gegenüber. Ich hielt seinen Blick ohne zu blinzeln. »Wie wäre es, wenn du diese Verantwortung in deinem eigenen Haus trägst und uns in Ruhe lässt?«
     
    »Du wirst schon sehen, was du davon hast!« Er verließ das Haus, ohne sich von unserer Mutter, um die er sich so sorgte, zu verabschieden.
     

Unser Alltag wurde so auffallend ruhig,
     
    dass es mich unruhig machte. ErzEngel führte ihr Leben weiter, als wäre nie etwas passiert. Die Senioren tummelten sich wieder unter ihrer Anleitung im Internet und sie selbst durchschritt wieder ohne Scheu den Raum, den sie so sorgfältig gezogen hatte. Wenn ich versuchte, mit ihr über das Wochenende, an dem sie verschwunden war, zu sprechen, sah sie mich freundlich aber ratlos an. »Ich habe keine Ahnung, wo ich war. Vielleicht habe ich im Gras geschlafen. Ich träume oft davon, im Gras zu schlafen. Ist es für dich wichtig, das zu wissen? Eine der Damen im Gemeindezentrum pendelt, vielleicht kann sie da was herausfinden. Sie hat letztens auch die Tabletten, die Waltraud Hülsken gegen ihre Konzentrationsschwäche nimmt, mit dem Pendel gefunden. Sie waren im Handschuhfach ihres Autos.«
     
    »Waltraud Hülsken hat Konzentrationsschwächen und fährt noch Auto?« Ich hatte das Thema Pendeln ignoriert, weil ich unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer im Ruhrgebiet gewittert hatte.
     
    »Im Moment nicht.« ErzEngel hatte mir beruhigend den Arm getätschelt. »Sie hat vergessen, wo sie den Wagen abgestellt hat.«
     
    Den Hausarzt, der meine Mutter auch noch einmal gründlich untersucht hatte, beunruhigte ihre anhaltende Gedächtnislücke nicht. »Mag sein, dass das Trauma, das sie beim Unfall erlebt hat, bei diesem Ereignis den Schockzustand verstärkt hat, aber das ist ungeklärt. Wichtig ist, dass es keine Anzeichen für eine fortschreitende Erkrankung bei Ihrer Mutter gibt.«

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