Herz und Fuß
blinkenden Handy auf dem Küchentisch vorbei, zog mich aus und rollte mich zitternd im Bett zusammen. Ich zog die vertraute Umgebung meiner Wohnung um mich wie eine schützende Decke. Ich wollte nicht duschen, nicht sprechen, nicht erklären, nicht beschreiben, nicht beantworten, am liebsten hätte ich auch mit dem Denken aufgehört. Mir war, als wäre das Bild des abgesägten Fußes mir durch die nächtlichen Straßen bis in meine Wohnung gefolgt und spränge jetzt wild im Zimmer umher. Dort lag es auf dem Boden, da hing es an der Wand oder starrte mich aus dem dunklen Bildschirm des Fernsehers an. Ich wollte die Augen nicht offen lassen und traute mich nicht, sie zu schließen, weil mir der kalte Fuß dann sofort unter die Augenlider folgte. Also schaute ich blinzelnd in die Dunkelheit und strich immer wieder über meinen Arm, als könnte ich wenigstens das Gefühl des klammen, kratzigen Strumpfes wegwischen. Ich atmete laut ein und aus und meine Lunge verarbeitete die Luft zu Blei und schickte sie in schweren Klumpen durch meine Blutbahnen. Alles tat mir weh. Irgendwo da draußen gab es einen Menschen ohne Fuß und einen Menschen ohne Skrupel, der grüne Wollsocken strickte. Und hier drinnen gab es eine Frau, die nach ihrem verlorenen Herzen gesucht und eine gefrorene Rose gefunden hatte. Ich war mir in diesem Moment sicher, dass das für immer und alle Zeiten der seltsamste Tag meines Lebens bleiben würde.
Ich sollte mich gründlich irren.
In IHREN Armen
war ich sicher. SIE hielt mich fest und spielte summend mit meinen Haaren. Die warmen Sonnenstrahlen kitzelten unsere Gesichter. IHR langer Kuss war ein Versprechen, das SIE meinem Mund gab. SIE flüsterte mir etwas ins Ohr, ich lachte. Im Sommer schien SIE mich immer mehr zu lieben, als gäbe das viele, helle Licht IHR mehr Mut für dieses Gefühl. Diesen ganzen Winter über hatte SIE sich kaum gemeldet und dass SIE dann zurückgekommen war, hatte mich hilflos vor Glück gemacht. Ich drückte SIE fest an mich und SIE blökte leise.
Ich erschrak und schaute auf Nana Mouskouri, mein altes Stoffschaf, das ich mir im Schlaf ans Gesicht gepresst hatte. Blök, machte es wieder, weil mein Ohr genau auf dem Knopf am Schafsbauch lag, der dieses Geräusch auslöste. Mein Bett war vollkommen zerwühlt und mein linker Eierstock zuckte vor Schmerz, als mir klar wurde, dass ich nur geträumt hatte. Ich wusste nie, welcher Teil meines Körpers schmerzen würde, wenn ich an SIE dachte, ich wusste nur, es würde nicht mein zerfetztes Herz sein. Nächtliche Träume von IHR waren sehr selten geworden und ich fragte mich, warum sie ausgerechnet jetzt zurückkehrten. Dann fiel mir der grüne Fuß ein und alle Härchen auf meinen Armen standen auf, als wollten sie wegrennen. Gestern Abend war etwas schwer Fassbares in meinem Leben passiert und es fühlte sich an, als hätte dieser junge Schrecken beschlossen, nicht allein zu bleiben. Also hatte er sich Gesellschaft auf meinem weitläufigen Gefühlsfriedhof gesucht, wo er natürlich als Erstes die riesige, reich verzierte Marmorgruft mit IHREM Namen entdeckt hatte. Prima.
Hier in meiner Wohnung, im Tageslicht mit einem zotteligen Stoffschaf im Arm, kam mir der gestrige Abend vollkommen unwirklich vor. Alle Dinge standen an ihrem Platz und die Sonne schien hell und freundlich. Es würde ein warmer Julisamstag werden. Die hellen Rechtecke auf der Raufasertapete, über denen einst Bilder von IHR und mir gehangen hatten, waren immer noch nicht komplett nachgedunkelt. Ich ließ sie unbedeckt, weil sie bewiesen, dass manche Dinge Zeit brauchten. Und manche Dinge gingen sehr schnell. Man sackte zum Beispiel viel schneller, als ich gedacht hatte, neben einem bestrickten Körperteil zu Boden. War mir das wirklich passiert? Bevor ich diese Frage klären konnte, stürzte die Antwort schon zusammen mit meiner Mutter durch meine Schlafzimmertür.
Leichenteile auf dem Gasometer – Sie fand den eisigen Fuß! stand in großen, schwarzen Lettern unter einem unvorteilhaften Bild von mir auf der Titelseite einer Zeitung, bei der es kein Zufall war, dass sie nicht »Wort« hieß. Meine Mutter mit einer Zeitung zu sehen, war an sich schon ungewöhnlich, sie deckte ihren gesamten Informationsbedarf eigentlich ausschließlich über das Internet.
»Was ist aus der guten alten Sitte des Anklopfens geworden?« Ich legte Nana Mouskouri zur Seite und nahm ihr die Zeitung aus der Hand.
»Unter diesen Umständen?« Sie
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