Herzbesetzer (German Edition)
noch einen völlig überteuerten Verbraucherkredit aufgenommen habe, und ich werde gleichfalls nicht erwähnen, dass dieser Betrag in etwa das ist, was ich abdrücke, wenn Anoki ein Wochenende bei mir in Berlin verbringt. Er ist doch noch viel zu jung für Geldsorgen. Er bekommt die Kohle von mir und basta.
65
Ich rolle mich auf den Rücken und ziehe Judiths Lockenkopf an meine Brust, beinahe vollständig befriedigt und angenehm müde. Es ist immer noch furchtbar heiß, und wir schwitzen alle beide, aber sie ist zum Glück nicht der Typ Frau, der deshalb direkt ins Bad rennen und sich mit Duftwasser überschütten würde. Dafür ist sie der Typ Frau, der in einer solchen Situation Sachen sagt wie: »Wohin wollen wir denn jetzt fahren? Du musst dich mal entscheiden, Schatz.«
Früher hätte ich an dieser Stelle wohl geantwortet: »Na gut. Du fährst nach Hause, und ich fahre mit Anoki nach Italien«, aber in letzter Zeit habe ich viel von meinem Zynismus verloren. Obwohl ich nicht die geringste Lust habe, mich jetzt zu unterhalten, und schon gar nicht über diesen verfluchten Urlaub, bleibe ich ganz geduldig und sage: »Ach, keine Ahnung. Schlag was vor.«
Ich mache ein paar vage Andeutungen bezüglich der Komplikationen, die ich auf uns zukommen sehe. »Anoki ist noch nie im Leben verreist«, beginne ich zurückhaltend. »Für ihn ist dieser Urlaub was ganz Besonderes. Auch weil er mich dann mal zwei Wochen lang nur für sich hat.«
Judith lacht schelmisch und antwortet: »Oh, ich bin aber nicht so gut im Teilen!«
Ich knirsche unauffällig mit den Zähnen. »Tja, er auch nicht«, wage ich zu sagen.
Da wird sie etwas ernster, stützt den Kopf in die Hand und fragt: »Du meinst, das könnte ein Problem geben?«
»Na ja, weißt du, er hat ja gedacht … ich hatte ihm versprochen, mit ihm allein zu verreisen.« Ich schließe die Augen. Möchte lieber nicht sehen, wie sie darauf reagiert. Nach zehn Sekunden öffne ich die Augen wieder – ist sie eingeschlafen oder was? Oh, keineswegs. Sie sitzt auf der Bettkante und zieht sich ihre Bluse an. Wenn ich das richtig interpretiere, haut sie jetzt ab, höchstwahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen. Ist das fair? Nur weil ich diesen einen Satz zu ihr gesagt habe? Hab ich das wirklich verdient? Ich denke an ihren Apfelkuchen und fange an, mir furchtbar leidzutun.
»Judith … sei doch nicht sauer«, flehe ich leise.
Sie dreht sich zu mir um und guckt erstaunt. »Wieso sauer? Ach so! Hast du gedacht, ich …« Judith fängt an zu lachen. »Ich muss nach Hause, Schatz.« Sie beugt sich über mich und küsst mich liebevoll auf die Nase. »Hey, ich bin doch nicht sauer. Du kannst doch nichts dafür, wenn Anoki falsche Erwartungen hatte.«
Jetzt werde ich sauer. Was heißt hier falsche Erwartungen? Seine Erwartungen waren vollkommen berechtigt! Reden wir eigentlich in verschiedenen Sprachen?
»Ich werd schon aufpassen, dass er auch ein Stück von dir abkriegt«, verspricht Judith.
Mühsam unterdrücke ich meinen Zorn, während sie in ihren Rock steigt und in die Sandalen schlüpft. Nein, ich kann einfach nicht die Schnauze halten. »Ich bin keiner von deinen Apfelkuchen«, erkläre ich kühl. »Und im Übrigen hat er die älteren Rechte.«
Judith sieht mich ungläubig an, dann lächelt sie schon wieder. Verständnisvoll, freundlich, nachsichtig. Herrgott, kann man sie denn überhaupt nicht wütend machen? Zum Beispiel so wütend, dass sie freiwillig auf die gemeinsame Reise verzichtet? »Natürlich«, sagt sie, »aber das kann man doch gar nicht vergleichen. Er ist dein Bruder – oder so was Ähnliches jedenfalls –, und ich bin deine Freundin. Das sind doch zwei Paar Schuhe. Er erwartet von dir bestimmt nicht dasselbe wie ich.« Sie grinst zweideutig, und ich habe das Gefühl, in einem Strudel zu versinken. Nicht in einem Apfelstrudel, leider, sondern in einem gnadenlosen Mahlstrom verwirrender Ängste, Sehnsüchte, Erwartungen und Hoffnungen.
Ich hatte meinen Tablettenkonsum in den letzten Wochen ein bisschen heruntergeschraubt, hauptsächlich weil Anoki (ausgerechnet er, der bedenkenloseste Drogenkonsument, den ich kenne!) mich genervt hat, dass ich zu oft müde bin und meine Gesundheit ruiniere und dass es ihm persönlich zum Beispiel völlig egal sei, wenn ich ab und zu mal ausraste, er könne damit umgehen. Und so fort. An schlechten Tagen vermute ich, dass ich ihm einfach zu lahmarschig bin, an guten bin ich gerührt über seine Sorge um mich. Aber
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