Herzbesetzer (German Edition)
gesehen, bloß dass sich das Milchgesicht da immer als Hulk oder so was Ähnliches entpuppt.
»Wer bist du denn?«, fragt einer der drei schweren Jungs, und es klingt halb überrascht, halb belustigt, als hätte er in seinem Besenschrank ein junges Kätzchen entdeckt.
Anoki nutzt den Moment der Ablenkung und flitzt zu mir rüber. »Das ist mein Bruder, und mit dem legt ihr euch mal besser nicht an«, blufft er gekonnt. Die Schläger sind so verblüfft, dass Anoki und ich die Flucht antreten können und schon einen hübschen Vorsprung erzielt haben, ehe sie sich brüllend an die Verfolgung machen. Da zeigt sich der Vorteil, wenn man mehr Hirn als Muskeln hat: man ist einfach schneller.
Schon habe ich Anoki ins wohltuend hell erleuchtete McDonald’s gezerrt und in eine der WC-Kabinen gestopft. Als ich die Tür hinter uns verriegele, höre ich die drei Panzerknacker ins Restaurant stürmen und einen Höllenradau veranstalten. Es entsteht eine gewisse Panik, und zu meiner Erleichterung erklingt jetzt aus der Entfernung ein Martinshorn. Jemand kommt in den Waschraum getrampelt und hämmert gegen unsere Tür, dann brüllt von draußen ein anderer: »Mann, jetzt komm! Lass die doch! Der Penner hat wirklich die Bullen gerufen!«, und es kehrt wieder relative Ruhe ein, sieht man von den hysterischen und wütenden Schreien der Gäste aus dem Restaurant ab. Anoki und ich drücken uns immer noch fest aneinandergeklammert an die der Tür gegenüberliegende Fliesenwand. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, ich hab einen komischen Geschmack im Mund, und ich zittere. Hulk bin ich definitiv nicht. Aber Anoki sieht auch nicht gerade aus wie Batman im Einsatz, außerdem hat er Blut im Gesicht.
Er sieht sich in der engen Kabine um und zuckt dann die Achseln. »Du denkst wohl auch nur an das eine, was?«, sagt er mit einem unerwarteten Grinsen. »Na gut, meinetwegen – mach die Hose auf.« Er lacht sich scheckig über meinen ungläubigen Gesichtsausdruck. Ich wünschte, ich könnte mich auch so schlagartig entspannen wie er! Immerhin bringe ich ein schwaches Lächeln zustande, dann zupfe ich Klopapier von der Rolle und fange an, ihm das Blut aus dem Gesicht zu wischen.
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»Total cool!«, beteuert Anoki zum vierten Mal. »Das hättet ihr sehen sollen! Der kam da einfach rangeschlendert und hat die zusammengekackt! Mann, ich hab echt gedacht, ich bin wieder im Kino!«
Mein Vater wirft mir einen widerwillig bewundernden Blick zu. »Hätt ich dir gar nicht zugetraut«, sagt er.
»Wie, nicht zugetraut?«, ruft Anoki. »Na klar! Kennst du deinen Sohn nicht? Ich wusste die ganze Zeit, dass der mich da raushaut!« Dabei war es der zufällig vorbeifahrende Krankenwagen, der uns das Leben gerettet hat, denn dessen Sirene hatte dafür gesorgt, dass Nicks Brüder (als diese hat Anoki die Burschen inzwischen enttarnt) das Weite gesucht haben, anstatt uns alle beide in die Kloschüssel zu stopfen und die Spültaste zu drücken. Der Einsatzwagen der Polizei kam erst gute zehn Minuten später, als die Lage sich längst entspannt hatte. Ich bedaure bloß, dass Anoki sich nicht getraut hat, die Kerle anzuzeigen.
Meine Mutter sieht das kritischer. »Wie kann das denn sein, dass du dich mit solchen Typen anlegst?«, will sie von Anoki wissen. »Was hast du mit denen zu schaffen, dass sie dich bedrohen und schlagen?«
»Ach, die wollten mich überreden, bei ’nem Einbruch Schmiere zu stehen«, behauptet Anoki überzeugend. »Die machen doch dauernd so ’ne Sachen. Das wollt ich aber nicht, und deshalb waren die so sauer.« Faszinierend, wie hübsch er lügt.
»Na, halt dich bloß aus so was raus«, mahnt meine Mutter. »Lass dich niemals zu solchen Sachen überreden, hast du gehört? Am besten wäre ja, du hättest überhaupt keinen Kontakt mehr zu dieser Familie.«
Ich verziehe das Gesicht und wende mich ab. Warum kann sie Anoki nicht einfach loben, dass er standhaft geblieben ist und dafür sogar Prügel eingesteckt hat? Soll ich jetzt was sagen? Soll ich wieder einen Streit anfangen? Ich sehe Anokis enttäuschte Augen und kann die Klappe nicht halten. »Hör mal – er hat sich doch gar nicht überreden lassen. Also, ich finde das wirklich bewundernswert. Wäre nicht jeder so standhaft geblieben, besonders gegen drei riesige Schlägertypen«, sage ich.
Mein Vater schaltet sich schnell dazwischen, ehe meine Mutter antworten kann: »Ja, das hat er gut gemacht. Aber er soll sich auch in Zukunft von so was fernhalten, das muss man ja
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