Herzbesetzer (German Edition)
auch mal sagen.«
Ich sehe meiner Mutter an, dass sie überlegt, ob sie mir noch einen reinwürgen soll.
Später beobachte ich meinen Vater und mein fleißiges Brüderlein, wie sie im Garten rumwühlen, während ich genüsslich faul auf der Terrasse sitze und mir einen Cappuccino schmecken lasse. Es ist heiß heute, und Anoki in Shorts und Tanktop ist ein so appetitlicher Anblick, dass mir das Testosteron in den Ohren dröhnt, aber eigentlich wollte ich darüber nachdenken, wie es nach dieser Auseinandersetzung mit Nicks Brüdern weitergehen soll. Ich glaube nicht, dass sie diese peinliche Niederlage auf sich sitzenlassen, sondern dass sie mein Augäpfelchen vielmehr bei der nächstbesten Gelegenheit erneut in die Mangel nehmen werden – und dann bin ich wahrscheinlich nicht zufällig in der Nähe, um ihn heldenmütig zu retten. Außerdem hab ich da was aufgeschnappt von hohen Schulden, worüber ich dringend mit Anoki reden muss. Ich schlendere zu ihm rüber und schnippe eine Stechmücke von seinem verschwitzten Oberarm, um einen Vorwand zu haben, ihn zu berühren. Er hält in seinen Grabungsarbeiten inne, blinzelt mich gegen die Sonne an und lächelt, dass mir die Knie weich werden. Warum kann er nicht mal genervt, gleichgültig oder missmutig gucken, wenn ich in seinem Gesichtskreis auftauche? Warum muss er mir bei jeder Gelegenheit dieses unerträglich verlockende Lächeln schenken? Niemand sonst strahlt mich jedes Mal an, wenn er mich sieht. Nicht mal Judith.
»Ich hab da gestern Abend was von Schulden mitgekriegt«, sage ich leise, damit mein Vater es nicht hört. »Stimmt das? Du schuldest denen noch dreihundertfünfzig Euro?«
Anoki gräbt hastig weiter, das Lächeln ist verschwunden. Er rammt den Spaten mit etwas übertriebenem Enthusiasmus ins Erdreich. »Nee, Quatsch, das hat der sich ausgedacht«, behauptet er ziemlich überzeugend.
Außer mir würde er damit wohl jeden beeindrucken. »Dir ist ja sicher klar, dass sie dich nicht in Ruhe lassen werden«, fahre ich fort, als hätte er gar nicht geantwortet. »Sie wollen die Kohle, und sie wollen dir eine Lektion erteilen. Und jetzt sind sie wahrscheinlich doppelt sauer, weil du ihnen gestern entwischt bist.«
Obwohl Anoki kein Wort sagt, kann ich deutlich sehen, dass er sich dasselbe auch schon überlegt hat. Er buddelt mit einer gewissen Verzweiflung.
Mein Vater hält beim Schneiden der Hecke inne, guckt zu uns rüber und eilt herbei. »Nicht so tief, Junge!«, ruft er entsetzt. »Nur dreißig Zentimeter! Da versinkt ja der ganze Baum drin!«
Anoki guckt schuldbewusst. »Oh – sorry.« Er fängt an, das Loch wieder zuzuschütten, und mein Vater zieht sich nach einem letzten besorgten Blick wieder an die Hecke zurück.
Ich lass Anoki mal lieber in Ruhe, sonst ist nachher wieder alles meine Schuld. »Wenn du fertig bist, müssen wir noch mal darüber reden«, kündige ich an. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und nickt nur.
»Mach dir da mal keine Gedanken«, versucht Anoki mich zu beruhigen, während er sich frisch geduscht und in sauberen Klamotten auf meinem Bett ausstreckt. »Ich hab da noch was gegen die in der Hand, die werden mich schon in Ruhe lassen.«
»Was?«, schnappe ich nach Luft. »Du meinst Erpressung?«
Anoki lächelt unschuldig. »Was du für Wörter kennst! Doch nicht so was. Einfach ’n kleiner – Deal.« Aber seine Miene spiegelt Unsicherheit.
»Nee, hör mal – das ist mir zu heikel«, entscheide ich. »Ich fahr gleich nach Alt Ruppin und rede mit den Eltern. Und ich geb dir das Geld, damit du die Schulden bezahlen kannst.«
Anoki richtet sich ruckartig auf. »Mit den Eltern? Kennst du die? Die sind total veratzt. Die putzen sich die Zähne mit Wodka. Also, das kannst du total knicken, außerdem sind die Jungs alle volljährig, die lassen sich von denen überhaupt nichts sagen. Die wohnen da nur, weil’s billiger ist.«
Ich fürchte, diesmal hat Anoki recht. Ratlos stütze ich das Kinn in die Hand. »Aber das Geld«, fange ich noch mal an. »Die Schulden. Das geb ich dir, okay? Vielleicht sind sie besänftigt, wenn du bezahlst.«
Anoki wendet sich unbehaglich ab. »Nee«, windet er sich. »Das ist doch Scheiße. Ich kann doch nicht so viel Geld von dir nehmen. Das find ich nicht gut.«
Ich glaube, seine Verlegenheit ist echt. Deshalb sage ich ihm auch nicht, dass mich dreihundertfünfzig Euro mehr oder weniger kaum noch jucken, weil ich sowieso mein Konto bis zum Anschlag überzogen und vor ein paar Wochen
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