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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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bringt. Unnötig zu erwähnen, dass Anoki beide Bestrebungen erfolgreich hintertreibt. Entweder trödelt er genau an jenen Stellen herum, wo Kollegen von mir gerade ins Wochenende aufbrechen, und löchert mich mit wissbegierigen Fragen, oder er lässt seiner Anhänglichkeit freien Lauf, oder wahlweise auch beides. Als wir endlich am Parkplatz ankommen, weiß die gesamte Belegschaft, dass ich eine verdächtig enge Beziehung zu einem minderjährigen Punk pflege und mir dies offensichtlich peinlich ist.

71
    Trotz seiner perfiden Bemühungen ist Anokis Plan nicht ganz aufgegangen. Judith ruft mich nämlich noch am Freitagabend an, während ich mit meinem vor Hunger taumelnden Bruder auf dem Weg zur Pizzeria bin, und lässt keine Anzeichen von Verstimmung erkennen.
    Im Gegenteil: »Jetzt bist du ja endlich mal ein Wochenende in Berlin«, sagt sie, »lass uns doch zusammen was machen! Wollt ihr morgen zum Frühstück kommen, und dann gehen wir auf den Trödelmarkt? Das hab ich mir schon so lange gewünscht.«
    Ich verzichte darauf, Anokis Einverständnis einzuholen, obwohl er mich misstrauisch anstarrt, während ich telefoniere, und seine Miene nicht viel Gutes verheißt. Kaum habe ich das Gespräch beendet, zickt er los. »Na super, könntest du mich vielleicht auch mal fragen? Was habt ihr denn da überhaupt verabredet?«
    Ich sage es ihm. »Boar, ätzend! Ich hasse Trödelmärkte!« Dabei war ich vor ein paar Wochen schon mal mit ihm da, und er fand es »total geil«. Aber das war früher. Heute ist er um Jahre gereift und kann dieser Form der Freizeitgestaltung nichts mehr abgewinnen.
    Ich lasse ihn eine Weile miese Laune verbreiten, dann reicht es mir. »Wenn du jetzt nicht sofort die Klappe hältst, schließ ich dich morgen zu Hause ein«, drohe ich ihm und verleihe meinen Worten durch einen schmerzhaften Griff um seinen linken Oberarm Nachdruck. »Du hast genau zwei Möglichkeiten: Judith als meine Freundin zu akzeptieren oder mich aus deinem Leben zu streichen.« Ganz so cool, wie ich tue, bin ich dabei nicht – immerhin besteht die Möglichkeit, dass er aus lauter Trotz und Eifersucht für die zweite Option votiert, und was dann? Aber zum Glück reagiert er vorschriftsmäßig, wirft mir einen eingeschüchterten Blick zu und zieht den Kopf zwischen die Schultern.
    »Du tust mir weh«, beklagt er sich, aber das ist nur ein letztes Aufbäumen. Ich lasse seinen Arm los und versetze ihm dabei einen wütenden Schubser, was ich mir jetzt erlauben kann, da ich die Oberhand habe. »Und du gehst mir auf den Sack«, entgegne ich.
    Schweigend laufen wir nebeneinander her. Ab und zu gucke ich verstohlen zu ihm rüber, weil sich mein Gewissen meldet. Bin ich zu weit gegangen? Ach, verdammt … Ich hab ihn so lieb. Am liebsten würde ich ihn jetzt gegen diese Hauswand drücken und von oben bis unten mit Küssen bedecken. Aber ich muss das durchziehen.
    Das Schweigen dauert an, bis wir unseren Tisch beim Italiener eingenommen haben und die Speisekarten vor uns liegen.
    Anoki klappt seine auf und tut so, als lese er, aber stattdessen murmelt er: »Was findest du denn so toll an der?«
    Ich sehe ihn scharf an, aber in seinem Blick liegt nicht mehr viel Trotz, eher Verzweiflung. Ich lasse meine Speisekarte sinken und sage ernsthaft: »Judith ist einfach ein total netter, lieber Mensch. Sie ist hübsch. Sie hat für alles Verständnis. Sie kann super kochen.« Und dann füge ich mit einem boshaften Grinsen hinzu: »Und sie ist über achtzehn.« Wie erwartet macht Anoki eine heftige Bewegung, als wolle er aufbegehren, aber dann erscheint, wie ich es die ganze Zeit ersehnt habe, dieses wunderbare Lächeln auf seinem Gesicht, das ihn zum schönsten, begehrenswertesten Menschen der Welt macht.
    »Ich könnt ja mal ’n Kochkurs machen«, sagt er.
    In dieser Nacht werde ich wach, weil ich dringend pinkeln muss. Als ich zurück in mein Bett klettern will, halte ich inne und betrachte meinen schlafenden eifersüchtigen kleinen Bruder. Jetzt hab ich die Gelegenheit, ihn ungestört mit meinen Blicken zu verschlingen. Oder sollte ich das lieber lassen und schnellstmöglich wieder einschlafen? Zu spät, ich kann mich nicht mehr von seinem Anblick losreißen. Vorsichtig strecke ich die Hand aus und streiche sanft über seine Wangen und über seine Oberlippe, auf der wohl noch ein, zwei Jahre kein Flaum zu sehen sein wird. Anoki lächelt und seufzt im Schlaf. Ob er etwas träumt? Ob er von mir träumt? Was wäre, wenn er mich genauso liebte wie

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