Herzbesetzer (German Edition)
schlucken, dann sage ich: »Und wie soll ich das machen?«
Sie lächelt immer weiter. »Vielleicht nicht so doll verwöhnen?«, schlägt sie vor. »Du gibst ihm das Gefühl, dass er alles von dir haben kann. Ich glaub, das ist auf Dauer nicht so gut … für seine Entwicklung.«
Und für die Entwicklung unserer Beziehung, nehme ich an. Ich bin innerlich ziemlich ruhig. Meinen herzlichsten Dank an die Pharmaindustrie! »Wo hab ich ihn denn verwöhnt?«, sage ich weitgehend frei von Aggression. »Du meinst diese paar Buttons?«
Judith schüttelt kontinuierlich lächelnd den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Es ist mehr so die ganze Art, wie du mit ihm umgehst. Wie du dich manipulieren lässt. Also, du merkst es zwar, aber du lässt es trotzdem mit dir machen. Das meine ich.«
Oha. Und ich dachte die ganze Zeit, sie ist ein bisschen naiv. Ich atme tief durch, um die aufsteigende Angst zu bekämpfen. Wenn sie so tief blickt – was hat sie dann noch alles gesehen?
Judith streichelt liebevoll meine Hand. »Ich verstehe ja, wie viel er dir bedeutet, nach dieser Geschichte mit dem Unfall und so. Und es ist auch schön, dass ihr euch so toll versteht. Ich will mich da gar nicht reinmischen. Ich sag bloß, was mir so durch den Kopf geht. Weil ich mir manchmal Sorgen mache, dass er abheben könnte oder so, weißt du?«
Mir fällt auf, dass ich während des gesamten Gesprächs in die Richtung gestarrt habe, in die Anoki und Una verschwunden sind, und da Judith eine gute Beobachterin zu sein scheint, hat sie diese Tatsache bestimmt schon bewertet, also wende ich mich augenblicklich ihr zu und sehe ihr in die Augen wie jemand, der nichts zu verbergen hat. »Eigentlich versuche ich bloß, Anoki ein bisschen von dem zu geben, was er all die Jahre nie gehabt hat«, erkläre ich betont beiläufig. »Vertrauen, Zuwendung, Anerkennung und so weiter. Vielleicht schieße ich da übers Ziel hinaus, ich weiß nicht. Ich dachte immer, davon kann man nie genug geben.«
Eine gut getarnte, böse kleine Spitze, die Judith locker wegsteckt. »Nein, natürlich nicht«, stimmt sie mir zu. »Davon bestimmt nicht.« Den Rest lässt sie einfach ungesagt.
Wir schweigen und denken vermutlich beide an die bevorstehende gemeinsame Reise. Ich kann mir vorstellen, dass Judith wenig Lust hat, zwei Wochen lang mit Anoki um den Platz an meiner Seite zu zanken. Übrigens entspricht das auch nicht meiner Vorstellung von einem Traumurlaub. Es hat überraschend wenig Reiz, das umkämpfte Objekt eifersüchtiger Rivalen zu sein.
»Hat er eigentlich keine Freundin?«, fragt Judith in meine Gedanken hinein.
»Wer – Anoki? Nö. Also, er hat so ein Mädchen, mit dem er chattet«, füge ich rasch hinzu.
»Ja? Und sonst nichts? Das wundert mich. Ist doch ein hübscher Junge«, sinniert Judith.
O ja, und ob er das ist. Als ich merke, dass ich vor Stolz schwachsinnig grinse, lasse ich meine Mundwinkel sofort wieder fallen. »Das kommt bestimmt bald«, sage ich und hoffe inständig, dass es noch mindestens zwanzig Jahre dauert. »Er ist doch erst vierzehn.«
Judith wirft mir einen merkwürdigen Blick zu und sagt: »Aber beim besten Willen kein Kind mehr«, und ich glaube, es ist am besten, wenn ich darauf nicht antworte. Also lasse ich ein paar Augenblicke verstreichen und wechsle dann das Thema: »Machst du dir Sorgen wegen des Urlaubs? Dass es Probleme mit Anoki geben könnte?«
Sie sieht mich aufmerksam an. »Warum – glaubst du das?«
Ich zucke die Schultern, darauf werde ich nicht eingehen. Sie sagt auch nichts mehr. Aber in der Luft hängt Verstimmung wie eine Smogwolke.
Da unsere Schutzbefohlenen nach vierzig Minuten noch nicht zurückgekehrt sind, gehen wir zum Spielplatz. Una sehen wir schon von weitem in den Gipfelregionen eines Kletternetzes herumturnen, Anoki dagegen entdecke ich erst nach angestrengtem Suchen. Er sitzt auf der Rückenlehne einer Bank und unterhält sich mit zwei älteren Jugendlichen, die vor ihm stehen. Sie wenden mir den Rücken zu, aber während ich den Platz überquere, um auf Anoki zuzugehen, sehe ich, dass sie ihm irgendwas in die Hand drücken und dann ebenso eilig wie unauffällig das Weite suchen. Anoki schiebt das, was er von ihnen empfangen hat, gerade in seine Hosentasche, als ich ihn erreiche, und zuckt bei meinem Anblick zusammen.
»Zeig mal her«, verlange ich. Er setzt sein unwiderstehlichstes Vorschullächeln auf und sagt: »Hey, ist euch langweilig geworden ohne uns?«
»Zeig her«, wiederhole ich, und ihm
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