Herzbesetzer (German Edition)
euch wohl wirklich sehr nahe, was?«
In ihren Worten schwingt keinerlei Vorwurf mit, trotzdem gehe ich hoch wie gestochen. »Was? Wie meinst du das denn?«, frage ich angriffslustig, und sie sieht mich erstaunt an.
»Na, dass ihr eben … wie soll ich sagen … ein enges Verhältnis habt«, versucht sie zu erklären.
»Ja und?«, schnappe ich. »Ist das ein Problem?«
Jede andere würde mich jetzt verdientermaßen zur Schnecke machen – nur Judith nicht. »Nein, natürlich nicht«, beschwichtigt sie mich. »Im Gegenteil. Ich find’s schön. Hat man doch selten. Besonders bei diesem Altersunterschied.«
Ich ringe nach Luft. »Hör mal, ich bin doch nicht senil«, zische ich giftig. Ich meine, es passiert einfach mit mir. Ich kann das nicht willentlich beeinflussen. Judith gibt klugerweise keine Antwort mehr, und ich springe auf in Richtung Flurgarderobe, um eine Tablette aus meiner Jackentasche zu holen.
Genau in diesem Moment kommt Anoki vom Rauchen zurück. »Warte, ich hol dir ’n Glas Wasser!«, ruft er mir zu. Damit auch wirklich jeder mitkriegt, was ich hier tue.
Planmäßig sagt Judith: »Was sind das denn für Tabletten? Hast du Kopfschmerzen? Dann mach ich dir lieber einen Kaffee mit Zitronensaft!«
Anoki durchquert mit dem Wasserglas das Wohnzimmer und wirft Judith ein »Nee, das hilft jetzt bestimmt nicht« hin – so richtig von oben herab, nach dem Motto Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt. Er hält mir das Glas hin und sieht sorgenvoll zu, wie meine Hände zittern, während ich mit dieser elenden Folie kämpfe. Warum konstruieren die eigentlich die Verpackung von Beruhigungstabletten so, dass man erst mal eine nehmen muss, bevor man sie öffnen kann?
Anoki stellt das Glas ab und sagt: »Gib mal her, ich mach das.« Genau so hab ich mir das immer vorgestellt: alt, tatterig und lebensuntüchtig, aber wenigstens ein bildhübscher Pfleger. Ich kichere hysterisch, und nun starren Anoki, Judith und Una mich alle drei mit demselben befremdeten Gesichtsausdruck an.
Bis zu unserer Ankunft auf dem Trödelmarkt habe ich mich wieder im Griff. Ich halte mich vorsichtig zurück, rede wenig, lächle viel und bemühe mich, einen heiteren und gelösten Eindruck zu erwecken. Anoki klebt derart penetrant an meiner Seite, dass Judith kaum eine Chance hat, sich mir auf mehr als zwei Meter zu nähern. Ich konzentriere mich vor allem darauf, die anderen Menschen zu beobachten, die ich nicht kenne und auch nicht kennen will und die mich nicht in ihre Psychokriege verwickeln können.
An einem Stand mit afrikanischem Holzschmuck kaufe ich eine Kette für Judith, über die sie sich rührend freut, während Anoki vor Hass und Eifersucht Blasen wirft, also kaufe ich ihm ein paar Stände weiter fünf Buttons mit Texten wie »1 Euro und ich mach alles«, »Normale Menschen machen mir Angst« oder »Realität ist was für Leute, die mit Drogen nicht klarkommen«, womit ich ihn wieder gnädig stimmen kann. Dafür guckt Una jetzt ziemlich angepisst, also kriegt sie ein Bandana mit Tarnmuster und ein rot-schwarz kariertes Haarband, und ich kann nur hoffen, dass ich jetzt alle Verpflichtungen erfüllt habe und man mich endlich in Ruhe lässt.
73
Wir gehen noch einen Kaffee trinken. Um die Ecke ist ein großer Spielplatz, der Unas Begehrlichkeit geweckt hat, aber sie will nicht alleine hingehen. Da zeigt Judith, was man als erfahrene Mutter so draufhat. Sie bringt Anoki dazu, Una zum Spielplatz zu begleiten, obwohl er dabei ein Gesicht macht, als habe sie von ihm verlangt, sich nackt auszuziehen, aufs Klettergerüst zu steigen und ein Volkslied zu singen. Ich werfe ihm aufmunternde Blicke zu, die er mit einer Mischung aus Qual und Hass erwidert, ehe er abzieht.
Mir ist klar, dass Judith ungestört mit mir reden will, und ich kann mir denken, worüber, deshalb habe ich vorsorglich eine zweite Tablette genommen, während sie mit Anoki verhandelt hat. Kaum sind die Kinder um die Ecke gebogen, nimmt sie liebevoll meine Hand und strahlt mich an. Ich lächle unsicher zurück.
»Ist er nicht ein Schatz?«, sagt sie. »Damals bei der Raumschiffaktion hat er sich auch immer so nett um die Kleinen gekümmert. Una hat erzählt, dass er ihr ganz oft geholfen hat, wenn sie nicht weiterkam.«
Wer? Anoki?! Da stand er bestimmt unter Drogen.
»Er ist ja ein bisschen sehr auf dich fixiert«, fährt Judith im selben fröhlichen Plauderton fort. »Vielleicht wär’s besser, wenn du da mal etwas gegensteuerst.«
Ich muss
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