Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
Vom Netzwerk:
absolut nicht. Es sei denn, du nimmst dir ein Hotelzimmer. Aber nicht bei mir, verstanden?«
    Es entsteht eine Pause, in der ich regelrecht sehen kann, wie er zu Tode gekränkt in sich zusammensinkt. »Na gut«, kommt schließlich ein dünnes, schwankendes Stimmchen aus dem Hörer, »also, bis morgen. Zwanzig vor vier.« Und er legt auf, ehe ich noch etwas Schuldbewusstes sagen kann.
    Ich tigere auf dem Bahnsteig auf und ab und kann ihn nirgendwo sehen. Mit wachsender Besorgnis drehe ich erneut um. Inzwischen sind alle Fahrgäste aus dem Zug gestiegen – bis auf Anoki. Ist ihm was passiert? Ist er versehentlich zu früh ausgestiegen? Hat er den Zug verpasst? Hat ihn jemand entführt? Verflixt noch mal, warum hat er bloß kein Handy? Ich muss ihm unbedingt ein Handy besorgen. Er muss erreichbar sein! So geht das nicht! Als er schließlich entspannt aus dem Waggon steigt – mit Abstand der Letzte –, wird mir schwindlig vor Erleichterung, und ich schieße auf ihn zu.
    »Wo kommst du denn jetzt her?«, blaffe ich ihn an. »Ich war auf’m Klo«, sagt er heiter. »Wegen der Kontrollettis.«
    »Was?«, schreie ich, »hat meine Mutter dir denn kein Geld für die Fahrkarte gegeben?«
    »Doch, klar«, lächelt er, »aber das kann man doch auch für was Besseres verwenden!«
    Ich stöhne auf. Jetzt hätte er eigentlich die erste Ohrfeige verdient. Er ist noch nicht ganz da, und meine Nerven schleifen schon am Boden. Was war das nur für eine bodenlos bescheuerte Idee, mit einem pubertierenden Nachwuchsgangster shoppen gehen zu wollen? »So, jetzt pass mal gut auf«, erkläre ich mit dieser unnachgiebigen Autorität, die ich extra für kleine Brüder reserviert habe, »solltest du im Verlaufe dieses Nachmittags noch irgendetwas Illegales machen – zum Beispiel was klauen oder so –, brechen wir die ganze Sache auf der Stelle ab, und ich setze dich in den Zug zurück nach Neuruppin und erzähle meinen Eltern jedes Detail. Ist das so weit verstanden?«
    Anoki lächelt ununterbrochen. »Okay«, zwitschert er freundlich und, wie ich vermute, ohne mich auch nur im Geringsten ernst zu nehmen.  

 
 
25
    Ich war mir darüber im Klaren gewesen, dass ich heute einiges an Geld ausgeben würde, und es hat mir nichts ausgemacht. Ich verdiene ganz gut bei dem Möbelhaus, in dem ich als Mediengestalter arbeite, ich habe keine besonders hohen Kosten und bin für niemanden verantwortlich – also warum nicht ein bisschen in meinen Zweitbruder investieren? Dass er allerdings derart anspruchsvoll sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Er kennt keinen einzigen Schriftsteller, weiß nicht, wie viele Bundesländer es gibt, und hat noch nie was von Hinduismus gehört, aber wenn es um Marken geht, macht ihm keiner was vor. Da greift er zielsicher nach dem Teuersten. Als ich ihn zu Deichmann reinziehen will, sträubt er sich, als erwarte ihn dort die Ansteckung mit Hepatitis.
    »Nicht da rein!«, jault er und zerrt mich die Rolltreppe hoch zu FootLocker, wo es die richtig teuren Designersportschuhe gibt.
    Er braucht so viel – eigentlich praktisch alles –, dass ich gar nicht weiß, wo wir anfangen sollen. Ich kaufe ihm zwei warme Pullis, drei T-Shirts, zwei Langarmshirts, zwei Sweatjacken, eine dicke Steppweste, zwei Hosen, gefütterte Winterstiefel, fünf Boxershorts, fünf Paar Socken, einen Schlafanzug, einen Schal, ein Paar Handschuhe, eine Sonnenbrille und noch viel mehr. Das Ganze erfordert reichlich Fingerspitzengefühl und geht mit nervtötenden Diskussionen einher. Die Fülle an verlockenden Konsumgütern weckt in Anoki eine Flut von Wünschen, und ständig nimmt er irgendwas in die Hand, betrachtet es anbetend und wirft mir einen bettelnden Hundeblick zu, aber sofern es kein wirklich unverzichtbares Kleidungsstück ist, muss ich leider jedes Mal ablehnen. Dabei würde ich ihn am liebsten mit Geschenken überschütten.
    Nach rund zwei Stunden Extremshopping bin ich so erschöpft, dass mir fast die Tränen in den Augen stehen, und ich brauche dringend eine Pause. Dafür kommt selbstverständlich nur McDonald’s in Frage. Egal, mir ist jetzt nur wichtig, dass ich mich hinsetzen und irgendwas zu mir nehmen kann. Ich spendiere uns ein prallvolles Tablett mit Geschmacksverstärkern, Phosphaten und gehärteten Transfettsäuren, und wir ziehen uns in eine ruhige Ecke zurück. Anoki und seine Tüten und Taschen benötigen allein drei Stühle, ich nehme den vierten.
    »Ich hab deinen Eltern gesagt, dass ich erst Sonntagabend nach

Weitere Kostenlose Bücher