Herzbesetzer (German Edition)
dem Kühlschrank zu holen. Da stehen schon zwei leere Flaschen auf dem Abtropfbrett. Anoki hat wirklich nichts anbrennen lassen während meiner Abwesenheit. Nach kurzem Zögern bringe ich ihm noch eine Flasche mit und setze mich wieder zu ihm auf die Couch.
»Guckst du dir die Filme mit deiner Freundin an?«, fragt er. Mann, was der für Fragen stellen kann.
»Das nicht«, sage ich und bemühe mich, ernst zu bleiben, »aber ich spiele die interessantesten Szenen mit ihr nach.«
Er nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche. »Dann guckst du die dir also alleine an?«, bohrt er.
Ich bestätige das.
»Wozu?«, will Anoki wissen. »Keine Ahnung«, sage ich. »Zu Studienzwecken, nehme ich an.«
»Aber macht dich das nicht scharf, wenn du so was siehst?«
»Doch, schon«, gebe ich zu.
»Und was bringt dir das dann, wenn du alleine bist?«, hakt er nach. Ich zucke die Achseln und sehe ihn ratlos an.
»Also, ich denk mir lieber selbst was aus, wenn ich mir einen runterholen will«, erklärt er entwaffnend offen.
»Oh, das musst du mir bei Gelegenheit unbedingt mal ausführlicher erzählen«, würge ich hervor und flüchte ins Bad.
Als ich zurückkomme, hat Anoki seinen neuen Schlafanzug an, so einen klassischen geknöpften Pyjama aus dunkelrot gestreiftem Winterflanell. Die Hose ist ihm zu lang, weil es ein Herrenpyjama ist, und er hat eben noch nicht die dafür erforderliche Größe, aber ich konnte ihm ja schlecht einen Kinderschlafanzug mit Batman- oder Snoopymotiv kaufen. Jedenfalls hat er die Beine und auch die Ärmel umgekrempelt und sieht zum Anknabbern aus. Ehe ich darüber nachdenken kann, hab ich schon die Kamera in der Hand, und wie gewöhnlich nimmt er bereitwillig eine wirkungsvolle Pose ein und räkelt sich lasziv auf meiner Couch.
»Warum hast du eigentlich überall diese Bilder von mir aufgehängt?«, will er jetzt wissen.
In der Beantwortung dieser Frage habe ich ja bereits Routine. »Weil das zurzeit meine besten Aufnahmen sind«, behaupte ich. »Die drei da links hab ich sogar eingeschickt. Zu einem Fotowettbewerb. Vielleicht kriegen wir einen Preis dafür.«
Für einen Augenblick ist Ruhe, dann fragt Anoki: »Aber hast du denn nicht noch ’n paar gute Fotos mit was anderem drauf? Warum fotografierst du nicht mal deine Freundin?«
»Du weißt doch«, sage ich, »wenn sie da ist, spielen wir immer was anderes.«
»Die ganze Zeit?«
»Ähm, ja.«
»Dann solltest du aber nicht von deiner Freundin reden, sondern von deiner Fickbekanntschaft«, bemerkt Anoki kritisch.
Meine Augenbrauen wandern reflexartig etwas nach oben. »Ja, da hast du recht«, sage ich dann. »Ich fand das Wort bloß nicht so passend für deine Ohren, und außerdem redest du pausenlos von meiner Freundin, nicht ich. Und jetzt wäre ich dir unendlich dankbar, wenn wir das Thema Sex mit allen dazugehörigen Spielarten und Varianten ein für alle Male ruhen lassen könnten, okay? Du wirst jetzt wirklich allmählich ein bisschen penetrant.«
Anoki legt den Kopf schräg und fragt: »Was ist das?«
Es geht auf Mitternacht zu, und ich kann meinem Bett nicht länger aus dem Weg gehen. Anoki liegt bereits drin und gibt keinen Mucks mehr von sich. Er hat sich ungewohnt bescheiden ganz am Rand zusammengerollt. Zögernd krieche ich unter meine Decke und versuche, mich dabei so wenig wie möglich zu bewegen, damit er nicht aufwacht. Ich bleibe meinerseits ganz am anderen Ende der Matratze, so dass zwischen uns noch gut und gerne eine Handballmannschaft Platz fände. Dann lösche ich das Licht und fange an, Schäfchen zu zählen. Es wird halb eins. Es wird eins. Es wird zwanzig vor zwei. Ich bin immer noch hellwach, und Anoki hat sich immer noch nicht bewegt. Lebt er überhaupt noch? Ich lausche angestrengt, bis ich seinen unendlich leisen Atem höre. Um halb drei sehe ich das letzte Mal auf die Leuchtziffern meines Radioweckers, dann muss ich wohl doch eingeschlafen sein.
Als ich wieder wach werde, dämmert es draußen bereits, und Anoki hat sich vertrauensvoll fest an mich gekuschelt: Sein linker Arm liegt quer über meiner Brust, sein Kopf ruht an meiner Schulter, und sein Knie berührt meins. Ich richte mich ruckartig auf und versuche mich panisch zu erinnern, ob irgendwas passiert ist, während Anoki sich mit einem leisen Murmeln umdreht und weiterschläft. Aber mein Gedächtnis ist leer und mein Gewissen nahezu rein. Bloß dass ich jetzt nicht mehr einschlafen kann. Ich schleppe mich ächzend ins Bad und hoffe, mich durch eine
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