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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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Inlinern halten kann? Richtig – man besorgt ihm an der erstbesten Imbissbude eine Currywurst mit Pommes frites, und dann noch eine, und weil er keine dritte will, aber immer noch über hungerbedingte Schwindel- und Schwächeanfälle klagt, kehrt man in irgendein schweineteures Bistro ein und stopft ihn dort mit weiteren Kalorien voll, bis sein Gesicht wieder Farbe bekommt. Für den Jahreslohn eines pakistanischen Fabrikarbeiters hat man damit ein hoffnungsvolles junges Leben gerettet – wenigstens für zwei Stunden, dann wiederholt sich die Attacke.
    Am Montag beginnt meine Arbeitswoche, und ich bin gezwungen, Anoki den größten Teil des Tages sich selbst zu überlassen. Vorsorglich habe ich meinen Laptop mit einem Passwort geschützt, meine DVDs im Keller versteckt, alle hochprozentigen Getränke in den abschließbaren Teil meines Kleiderschranks geräumt, die Beruhigungstabletten hinter die frischen Handtücher geschoben, den Kühlschrank mit abgezählten, knapp rationierten Lebensmitteln bestückt und meine Digitalkamera mit zur Arbeit genommen. Ich bin stolz auf mich. Anoki wird sich entweder furchtbar langweilen oder den ganzen Tag damit verbringen, sich trotz dieser widrigen Umstände Dummheiten auszudenken. Was ich leider nicht verhindern kann, ist, dass er die Wohnung verlässt und außerhalb meiner vier Wände jedes erdenkliche Verbrechen begeht, aber wenigstens habe ich mein Eigentum gesichert.
    Zu meiner Beruhigung ist Anoki zu Hause, als ich heimkomme. Er liegt auf der Couch, spielt mit seinem Handy und sieht angepisst aus, während mich bei seinem Anblick eine Flut zärtlicher Gefühle überspült, unter anderem deshalb, weil ich zu meinem Erstaunen feststelle, wie schön es ist, zu Hause von jemandem erwartet zu werden. Selbst wenn dieser Jemand nur bockig dreinschaut und, ohne den Blick von seinem Handydisplay zu wenden, störrisch bemerkt: »Danke für dein Vertrauen!«
    Ich grinse verstohlen. »Du hast es verdient«, erwidere ich wahrheitsgemäß. »Übrigens: hallo, schön, dich zu sehen.«
    »Ich wollte im Internet was recherchieren«, erklärt Anoki muffelig.
    Beeindruckt von seiner Verwendung eines viersilbigen Fremdwortes schalte ich augenblicklich meinen Laptop ein und logge mich ein. Nach einem abschließenden Klick auf das Symbol des Internet Explorers sage ich: »Hier, Professor. Leg los.«
    Aber Anoki drückt nur stur und mit gerunzelter Stirn auf den Tasten seines Handys rum und antwortet erst nach einer unhöflichen Pause: »Jetzt hab ich grad keine Lust.«
    Ich nehme seine Launen gelassen. Sie halten nie lange vor, und ich kann mich gut daran erinnern, wie nervig ich es in seinem Alter fand, wenn meine gesamte Familie in ähnlichen Fällen in mich drang: »Mach doch nicht so ein Gesicht! Was ist denn mit dir schon wieder los! Lass deine Laune nicht an uns aus! Mit dieser Einstellung wirst du nicht weit kommen!« und dieser ganze öde Quatsch. Also lasse ich Anoki in Ruhe, während ich meinen Feierabend einläute: Hände waschen, den Kühlschrank checken (er hat mir drei Flaschen Bier gelassen, alles Übrige ist wie erwartet weg), in der Tageszeitung blättern, meine Grünpflanzen gießen und so weiter. Noch ehe ich damit fertig bin, hat Anokikätzchen sich wieder beruhigt und streicht mir um die Beine.
    Anokis Internetrecherchen drehen sich hauptsächlich um das Thema »Entführung durch Außerirdische«, von dem er nach wie vor besessen ist. Ich verstehe das: es gibt ihm eine Möglichkeit, sich sein eigenes Schicksal zu erklären, und gleichzeitig die Hoffnung, seine Eltern zurückzubekommen. Manchmal ziehen ihn die Erfahrungsberichte ehemaliger Entführter aber auch ganz schön runter.
    »Da war so ’ne Frau, die war schwanger, als man die entführt hat, und dann haben die der das Kind rausgeholt – ohne Bauchschnitt, einfach so. Die hatte nachher keine Narbe, aber die kann sich genau erinnern, dass man an ihr rumgemacht hat und dass das tierisch wehgetan hat«, erzählt er mir am nächsten Abend. »Und als die wieder zurück war, war das Baby weg. Hat der natürlich keiner geglaubt. Alle haben gedacht, die hätte abgetrieben und käm jetzt mit ihrem Gewissen nicht klar und hätte die Geschichte deshalb erfunden.«
    Ja – das denke ich auch. Was ich aber nicht sage. »Machst du dir Sorgen um deine Eltern?«, frage ich stattdessen teilnahmsvoll, und Anoki zuckt die Achseln, weil es nun mal uncool ist, sich Sorgen zu machen – noch dazu um so was wie Eltern –, aber seine Augen

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