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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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allein ist – hast du nicht Angst, dass er was anstellt?«
    »Doch«, gestehe ich. »Ich hab meine Wohnung kindersicher gemacht, aber ich kann natürlich nicht ausschließen, dass er sich auf der Straße rumtreibt und Dummheiten macht. Obwohl – bisher scheint alles gut gegangen zu sein. Oder ich hab nichts bemerkt.« Tatsächlich überprüfe ich jeden Abend unauffällig die Warenbestände in meinen Schränken und fürchte immer, dass da etwas aufgetaucht sein könnte, was Anoki geklaut hat.
    Andererseits kann ich ihn nicht festbinden. Ich lese ihm gerne wie zufällig Zeitungsberichte vor, wie jugendliche Missetäter geschnappt worden sind, und wenn wir über seine Theaterrolle sprechen, vergesse ich nie beiläufig zu erwähnen, dass sie eng an sein gesellschaftliches Wohlverhalten gekoppelt ist. Natürlich achte ich darauf, mich nicht anzuhören wie ein Oberlehrer. Ich glaube, das gelingt mir ganz gut. Heute Morgen beim Aufwachen hat Anoki zu mir gesagt: »Weißt du was? Du siehst irgendwie total lieb aus. Und dabei hast du so dermaßen Haare auf’n Zähnen. Also, mal ganz ehrlich, Alter, genau das mag ich so an dir.« Diese Worte waren mit Sicherheit das schönste Ostergeschenk, das ich je bekommen habe.
    Mein Vater ist nicht so gut im Reden, besonders nicht im Reden über Gefühle, aber er macht einen rührenden Versuch. »Du machst dich ganz gut in letzter Zeit«, findet er. »Tut dir wohl gut, wieder einen kleinen Bruder zu haben, was? Siehst irgendwie zufriedener aus als früher.«
    Erst schäme ich mich – wenn er wüsste, welche Rolle dieser kleine Bruder in meinen Fantasien spielt! –, aber dann wird mir klar, dass Anokis Gesellschaft auch unabhängig davon überaus befriedigend für mich ist. Es ist schön, herausgefordert, bewundert, bekämpft, geliebt und gebraucht zu werden. Es ist herrlich, Anoki was beizubringen, ihn an Neues heranzuführen, ihm Anregungen zu geben. Es macht Spaß, ihn zu ärgern und wieder zu versöhnen, mich von ihm zu allem Möglichen überreden zu lassen, mein Geld für ihn auszugeben und ihn zum Lachen zu bringen. Das alles hat nichts mit erotischer Anziehung zu tun – er hat es einfach geschafft, mich im Innersten zu berühren und den harten Klumpen Eis aufzutauen, der dort lagerte. Ich hab mir fest vorgenommen, mich unerbittlich zurückzuhalten, wenigstens bis er achtzehn ist, und obwohl diese Entsagung mich oft genug an meine Grenzen bringt, ist es wunderschön, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, so wie sich eben Brüder lieben.
    »Das hat mir gefehlt«, gestehe ich. »Am Anfang war ich ja ziemlich sauer, weil ich finde, dass man Benni nicht ersetzen kann, und dabei bleib ich auch. Aber Anoki ist jetzt eben auch mein Bruder. Anscheinend kann man auch mehrere Brüder liebhaben.«
    In der Art, wie mein Vater nickt, schwingt so was wie versonnene Wehmut mit. Ich glaube, er hätte Anoki auch gern lieb und weiß nur nicht, wie er das anstellen soll.
    »Hast du was von Mama gehört?«, frage ich, denn bei uns hat sie sich in den letzten Tagen nicht mehr gemeldet.
    Mein Vater strafft sich ein bisschen und antwortet: »Ja, ich hab gestern Abend mit ihr telefoniert. Soll euch herzlich grüßen und so weiter. Sie lässt sich da so richtig verwöhnen und ist total begeistert.«
    Es entsteht eine kleine Pause, dann entschließe ich mich zu fragen: »Kommst du klar, so alleine?«
    Das wäre jetzt eine Chance für meinen Vater, sich bei mir auszukotzen, aber er sagt bloß: »Ja, sicher. Kein Problem.«
    Jeder Idiot kann sehen, dass das nicht stimmt. Im selben Moment kommt Anoki aus irgendeinem für Passagiere gesperrten Teil des Schiffs zu uns zurück, lässt sich schmollend zwischen uns auf die Sitzbank fallen und beklagt sich: »Boar, ist das ’n aufgeblasenes Arschloch, dieser Badewannenkapitän. Der hat mich voll angepupst.«
    »Echt? Was fällt dem denn ein?« Ich tue so, als teilte ich seine Empörung. »Sobald wir angelegt haben, schmeißen wir ihn über Bord.« Schon fängt Anoki wieder an zu grinsen, und mein Vater beobachtet uns mit zurückhaltendem Vergnügen. 

 
 
54
    »Ich kann mir das gar nicht vorstellen, mit vierzehn schon ’n Kind zu haben«, sagt Anoki nachdenklich und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Ich kriege einen furchtbaren Schreck, weil ich zunächst denke, er hätte ein Mädchen geschwängert und wolle mir das auf diese Weise mitteilen. Dann fällt es mir wieder ein: seine eigene Mutter war bei seiner Geburt erst vierzehn. Ich atme

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