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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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auf.
    »Na ja, Mädchen sind in dem Alter schon ein bisschen weiter«, sage ich. »Aber du hast schon recht, es ist verdammt früh.«
    Er guckt zur Decke. »Wahnsinn, was? So ’ne Riesenverantwortung. Ich könnt das nicht. Nee, auf keinsten. Das wär mein Ende.«
    Auch in diesem Punkt muss ich ihm heimlich recht geben, aber aus pädagogischen Gründen halte ich es für angebracht zu widersprechen. »Man wächst mit seinen Aufgaben«, doziere ich. »Du siehst die Welt mit ganz anderen Augen.« Immerhin hab ich selbst seit kurzem ein Kind am Hals, wenn auch ein schon etwas größeres, ich weiß also, wovon ich rede.
    Anoki schweigt einige Zeit, nuckelt an seiner Cola und grübelt. Dann wirft er mir seinen gefürchteten Angstblick zu und fragt: »Glaubst du, ich war ’n Unfall?« Herrgott! Warum muss er mich immer in solche Situationen bringen? Ganz bestimmt war er nicht geplant, ich meine, welche Vierzehnjährige nimmt sich denn schon vor, ein Kind zur Welt zu bringen? Aber das kann ich ihm doch nicht ins Gesicht sagen! »Dann wärst du mit Sicherheit der süßeste Unfall der Menschheitsgeschichte«, antworte ich schließlich, »aber ist doch egal: Du bist jedenfalls ein Kind der Liebe.«
    Er ist überrascht, die Angst weicht aus seinen Augen, stattdessen schleicht sich ein schüchternes kleines Lächeln herein.
    In der zweiten Ferienwoche geht Anoki jeden Vormittag zu einem Jugendclub, wo unter Anleitung von drei Sozialarbeitern ein »Raumschiff« gebaut wird. Es war ein hartes Stück Arbeit, ihn dazu zu überreden, aber es hat sich gelohnt. Er kommt nämlich wunderbar mit den anderen Kids zurecht, holt sich jede Menge Anerkennung für sein handwerkliches Geschick und seine überbordende Fantasie und – was das Wichtigste ist – langweilt sich nicht zu Hause herum. Am Freitagnachmittag ist das Projekt beendet und wird im Rahmen einer sogenannten Space-Party offiziell den Eltern vorgestellt. Ich gehe hin, weil Anoki mich dazu zwingt, und fühle mich als weltjüngster Teenagervater ziemlich unwohl, zumal alle Muttis und Vatis mir neugierige Blicke zuwerfen. Einige sprechen mich an, um rauszukriegen, welche Funktion ich hier habe, darunter auch die alleinerziehende Mutter einer Neunjährigen, die mir ziemlich gut gefällt und mit der ich mich ausgiebig unterhalte. Wir tanzen ein paarmal zur Space-Musik, für die übrigens DJ Anoki verantwortlich ist. Er steht ungeheuer cool und professionell mit einem Kopfhörer hinter den Plattentellern, dreht an Knöpfchen herum, wippt im Rhythmus der Musik und wirft mir ab und zu ein Space-Lächeln zu, gegen das die nette Mutti etwas verblasst. Ich bleibe trotzdem hartnäckig an ihr dran, bis ich ihren Namen und ihre Telefonnummer habe.
    Auf dem Heimweg nervt Anoki mich mit eifersüchtigen Fragen. »Wieso hast du so lang mit der gequatscht? Habt ihr über mich geredet? Was wollt die denn von dir? Willst du die etwa noch mal treffen?«
    Irgendwann wird es mir zu bunt, und ich schnauze ihn an: »Das geht dich überhaupt nichts an, du Hosenscheißer! Ich bin ja wohl alt genug, dass ich mich mal mit ’ner Frau unterhalten kann!«
    Darauf ist er dreieinhalb Minuten lang eingeschnappt, bis ich, von Gewissensbissen gequält, vorschlage, heute Abend noch zum Shut Up Club zu fahren. Wie zur Rache lässt Anoki dort die Sau raus, trinkt zu viel, wird beinahe in eine Schlägerei verwickelt und ist für eine halbe Stunde spurlos verschwunden. Gegen halb zwei schleppe ich ihn entnervt zum Auto. Er torkelt und protestiert unter akustischer Einbindung sämtlicher Anwohner gegen diese Bevormundung, mit anderen Worten: Zeit für einen Satz warme Ohren. Ich mach das nicht gerne. Das heißt, es ist schon ein gewisses prickelndes Gefühl der Macht, wenn ich Anoki mit einem einzigen Schlag zum Parieren zwinge, aber gleichzeitig verursacht es mir Schuldgefühle. Er ist doch noch ein Kind und kleiner als ich und so weiter, und dann guckt er immer so herzzerreißend betroffen und wird ganz, ganz still, wenn mir die Hand ausgerutscht ist. Heute setzt er noch einen drauf – vermutlich weil er ziemlich angetrunken ist –, indem er sich im Auto plötzlich an mich kuschelt und schnieft: »Tut mir leid, Juli« – dabei tut es mir leid. Ich sage nur: »Ist doch schon gut« und denke dann ausschließlich an Düngemittel, damit ich nicht an den Straßenrand fahre und ihn mit wilden Küssen überziehe.      
    Wahrscheinlich hat Anoki mein verkrampftes Schweigen auf der Heimfahrt falsch interpretiert, denn

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