Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
Vom Netzwerk:
so solide wie damals als Kind. Ab und zu begleite ich Anoki zum JFZ, aber ich achte darauf, dass wir um elf Uhr zu Hause sind. Es ist keine sehr glückliche Phase meines Lebens, und trotzdem befinde ich mich in einer Art Rauschzustand. So muss sich ein Junkie im Anfangsstadium fühlen, wenn die Droge noch richtig stark wirkt, er aber schon spürt, dass er sich allmählich kaputtmacht. Meine Droge hat jedenfalls das Zeug dazu, mich langfristig völlig vor die Hunde gehen zu lassen, und ich hätte sogar die Möglichkeit, mir den goldenen Schuss zu setzen: Ich müsste ihm bloß sagen, dass ich ihn liebe, und mich vielleicht noch entfesselt auf ihn stürzen, das wäre dann das Ende. Aber so tief bin ich noch nicht gesunken. Ich habe noch Rudimente von Beherrschung, Anstand, sogar Hoffnung in mir. Worauf auch immer – vielleicht, dass Anoki endlich achtzehn wird.
    Sven schlägt mir vor, eine Kontaktanzeige aufzugeben. Er kennt natürlich nicht die ganze peinliche Geschichte – lieber Himmel, die würde ich nicht mal meinem Nervenarzt erzählen. Aber ich habe ihm vorgejammert, dass ich mal wieder eine neue Frau in meinem Leben bräuchte und wie wenig Gelegenheit ich habe, Mädchen kennenzulernen und so weiter, also die jugendfreie Version meines Dilemmas. Sven macht sich gleich Gedanken, wie er mir helfen kann. Ich bin allerdings von dieser Anzeigenidee nicht begeistert.
    »Glaubst du nicht, da melden sich nur abgetakelte, grottenhässliche Mauerblümchen, die sonst keinen abkriegen?«, frage ich ihn. »Und überhaupt – wann sollte ich mich denn mit denen treffen?«
    Sven sieht mich ernst an. »Hör mal, könntest du deinen Eltern nicht mal sagen, dass du nur noch jedes zweite Wochenende kommst? Ich meine, so allmählich müssen sie doch alleine mit ihrem Heimkind klarkommen, oder?« Offensichtlich nimmt er an, dass ich meine freien Tage nur auf ihren Wunsch in Neuruppin verbringe. Ich denke darüber nach, ob ich ihn über meine wahren Motive aufklären soll – natürlich auch wieder in einer entschärften Version –, und beschließe, dass er als mein bester Freund ein Recht darauf hat.
    »Nee, mit meinen Eltern hat das nichts zu tun«, setze ich an. »Die verlangen das gar nicht, dass ich jede Woche komme. Das ist mehr wegen Anoki. Der ist doch so allein und hat kaum Freunde in der Schule und so, weißt du, und er freut sich immer wie verrückt, wenn ich komme.«
    Sven sieht mich ungläubig an. »Was? Du fährst jede Woche hundertsechzig Kilometer, nur um diesem kleinen Bengel die Zeit zu vertreiben?«
    Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass er sich abfällig über Anoki äußert. »Hör mal, Anoki ist mein Bruder«, erkläre ich scharf. »Macht es dir was aus, ein bisschen respektvoller über ihn zu reden?«
    »Ich dachte, Benjamin wäre dein Bruder«, erwidert Sven grausam. Vermutlich ist er gekränkt.
    »Ja. Benjamin war mein Bruder, völlig richtig«, sage ich langsam und deutlich, als müsse ich einem Dreijährigen die Französische Revolution erklären. »Aber Benjamin ist seit fast sechs Jahren tot, und jetzt gehört Anoki zur Familie. Soviel ich weiß, kann man auch mehrere Brüder haben. Manche Leute haben sogar mehrere Brüder gleichzeitig .«
    Sven hat begriffen, dass er zu weit gegangen ist, und bestellt mir ein neues Bier. »Jaja, jetzt bleib mal geschmeidig, Alter. Das war ja auch kein Angriff. Ich dachte bloß, dass du Anoki mehr so als kleine Nervensäge betrachtest – so kam das jedenfalls bisher rüber.«
    Während unseres Gesprächs am Tresen des Unicum linst die ganze Zeit eine Dunkelhaarige im weißen T-Shirt zu uns rüber, die mit einer größeren Gruppe hier ist. Das ist weder Sven noch mir entgangen, aber im Gegensatz zu ihm habe ich kaum ein zweites Mal hingeschaut. Jetzt sagt er: »Du bist aber auch irgendwie ein bisschen aus der Übung, was? Vor einem halben Jahr hättest du die schon nach fünf Minuten auf der Damentoilette genagelt«, und er macht eine unauffällige Kopfbewegung in Richtung der Dunkelhaarigen.
    Ich gönne ihr einen etwas längeren, nachdenklichen Blick, den sie als Aufforderung versteht, mir zuzulächeln, ehe sie verschämt die Augen senkt. Tja, sie sieht wirklich nett aus, alles am richtigen Ort und so, und mit schätzungsweise Mitte zwanzig ist sie sogar aus dem Schutzalter raus. Aber – wie soll ich sagen … Ihr Lächeln ist nicht keck, sondern lediglich selbstbewusst, ihre Augen sind blau oder grau statt schwarz, ihre Haare ordentlich gekämmt, sie trinkt Fanta

Weitere Kostenlose Bücher