Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
„Wieso tut ihr mir so was an?“
„Weil die Pubertät genau das ausgelöst hat, was wir befürchtet haben“, antwortete Nanna schroff. „Sie hat deine inaktiven Gene angestoßen. Jetzt werden sie aktiviert, und niemand weiß, was als Nächstes passiert. Und nicht in dem Ton, Fräulein – wir sind immer noch deine Familie.“
Ich streckte die Hand nach hinten aus, tastete nach meinem Bett und ließ mich auf die Bettkante sinken, bevor mir die Knie wegsackten.
„Ich weiß, Liebes, das ist ganz schön viel auf einmal“, sagte Mom. „Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätten wir dir nichts erzählt. Wir haben so gehofft, dass du nicht nach uns geraten würdest und einfach … na ja, normal wärst. Aber jetzt wäre es zu gefährlich, wenn du es nicht wüsstest. Dass du eine ganze Woche lang krank warst, zeigt wahrscheinlich, dass eine Seite oder vielleicht sogar beide durchschlagen. Du könntest eine Reihe von Fähigkeiten oder Trieben entwickeln. Falls es dazu kommt, müssen wir alle bereit sein und dir helfen, sie unter Kontrolle zu halten.“
Triebe. Fähigkeiten. War ich etwa ein wildes Tier, das bald außer Kontrolle geraten würde?
Mom setzte sich neben mich und legte mir einen Arm um die Schultern. „Du könntest versuchen, das wie eine normale Erbkrankheit zu sehen. Durch die Gene deiner Eltern hast du die Ver-anlagungzu bestimmten … Schwierigkeiten im Leben geerbt. Sie müssen dich nicht unbedingt im Alltag einschränken. Aber wir müssen vorbereitet sein, falls sie es tun.“
„Du meinst, falls ich Geschmack an Blut finde?“ Ich konnte kaum glauben, dass ich das sagte.
Noch surrealer war, dass Dad nickte. „Es könnte passieren, dass du dich nach menschlichem Blut sehnst. Direkter Blickkontakt mit dir könnte anderen unangenehm werden. Bessere Reflexe, größere Schnelligkeit und ein erhöhtes Denkvermögen sind weitere mögliche Folgen. Und natürlich, dass dir Fangzähne wachsen.“
Fangzähne. Ach. Du. Scheiße. Er klang wie der Sprecher in einem Werbespot für Medikamente, der mögliche Nebenwirkungen aufzählte.
„Es könnten auch seltsame Dinge passieren, wenn du wütend wirst“, fügte Mom hinzu. „Wie …“
„Wie fliegende Teller“, sagte Nanna kichernd. Als ob das witzig wäre.
Mom warf ihr einen bösen Blick zu. „Das war kein Versehen. Wenn ich die Küche in Brand gesetzt hätte …“
Da wurde mir klar, dass sie es ernst meinten. Das war kein Streich, und wenn ich nicht bald aufwachte, träumte ich auch nicht.
Was bedeutete … dass ich zur Hälfte Vampirin, zur Hälfte Hexe war. Und durch und durch ein Freak. Wie die Zickenzwillinge schon seit Jahren behaupteten. Dreck. „Der Clann. Wissen sie alle …?“ Ich musste daran denken, wie mich die Zwillinge ständig als Freak bezeichnet hatten, und manchmal schienen sie Angst vor mir zu haben. Sie wussten es ganz sicher. Tristan auch?
„Die Erwachsenen wissen es. Die Kinder nicht“, antwortete Mom. „Zumindest haben die Ältesten geschworen, sie würden es den jüngeren Nachfahren nicht sagen, nachdem sie uns verstoßen haben. Nur die erwachsenen Nachfahren sollten gewarnt werden.“
Nanna schnaubte. „Ob die Ältesten ihr Versprechen allerdings gehalten haben …“
„Warum wissen die Erwachsenen über mich Bescheid? Und was meinst du mit verstoßen ?“
Jetzt waren offensichtlich Nanna und Mom überrascht. DieAntwort kam von meiner Mutter. „Wir dachten, das hättest du dir zusammengereimt. Unsere Familie hat früher auch zum Clann gehört. Was die Gründerfamilien überhaupt verbunden hat, war die Magie. Du musst doch wenigstens Gerüchte darüber gehört haben.“
Also hatte die Gerüchteküche von Jacksonville recht. „Der ganze Clann besteht also aus Hexen. Aus so was wie einem Zirkel.“
Mom und Nanna nickten.
„Aber … wir gehen doch in die Kirche“, widersprach ich. Es ging mir noch nicht in den Kopf, dass die Zickenzwillinge in mehr als einer Hinsicht Hexen waren. Ganz zu schweigen von Tristan.
Wie irre. Tristan war eine Hexe.
„Magie ist für uns keine Religion wie für die Wicca“, erklärte Nanna. „Die meisten Nachfahren des Clanns sind Christen, die durch Zufall Magie beherrschen. Das ist keine Lebensanschauung, sondern Genetik.“
Ja klar, und in dieser extrem religiösen Ecke von Osttexas würde bestimmt auch jeder den Unterschied verstehen.
Als mein Gehirn wieder funktionierte, kam mir ein anderer Gedanke. „Moment mal. Dad, wieso kannst du Sonnenlicht vertragen,
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