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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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einen Angsthasen. Und ich fürchte, sie hat recht. Aber immer wenn sie mich beschimpft und fertigmacht, dann finde ich sie besonders begehrenswert. Verstehen Sie?«
    Jakob wußte nicht, was er dazu hätte sagen sollen. Zu solchen Geständnissen schwieg man am besten.
    Der Arzt wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Wie schön wäre es doch, wenn meine Frau mir das Blut abnehmen wollte – oder wenigstens Lust hätte, mich ab und zu mit einer Injektionsnadel zu stechen. Viel mehr will ich doch gar nicht.« Der Arzt wandte sich ab, erneut liefen ihm Tränen übers Gesicht. »Verstehen Sie, wie furchtbar es für mich ist, sehen zu müssen, wie sie andere quält und schlägt, aber für mich nur Mißachtung übrig hat.«
    »Das tut mir leid.« Jakob begann der Arzt suspekt zu werden, er sah sich nach einem Schlüssel für die Tür um. Die Geständnisse des Mannes waren ihm zu intim und dessen Leidenschaft zu fremd, um darauf einzugehen. Und er hatte genug davon, ungebeten in weitere Geheimnisse eingeweiht zu werden. »Würden Sie mir bitte die Tür ...«
    »Es hatte so schön begonnen. In den ersten Jahren unserer Ehe haben wir immer die Rollen getauscht. Sie war der Arzt und operierte mich. Richtig mit ein bißchen Blut.« Er lächelte glücklich und machte sich an einem der Schränke zu schaffen.
    Jakob blieb vorsichtshalber an der Tür stehen.
    »Das wichtigste im Leben ist, jemanden zu finden, der sauber ist, der keine Krankheiten hat und einen nur in solch einem Maße verletzt, daß es noch schön ist. Die meisten gehen zu weit oder machen gar nichts.«
    Jakobs Urteil über den Arzt stand fest. Es war nach Wilhelm Weber, Rudolf Pedus und Dieter Vietel ein weiterer Verrückter in seiner heutigen Sammlung, dessen Einfluß er sich so schnell wie möglich entziehen mußte.
    »Ja, Sie haben sicher recht. Könnten Sie mich bitte hinauslassen?«
    »Ich habe Sie aufgehalten, das tut mir leid.«
    Am meisten irritierte Jakob, daß der Arzt ihm nicht in die Augen sah. »Nein, nein.«
    »Ich langweile Sie mit meinen Geschichten?«
    »Nein, ich muß nur gehen.«
    »Oh, ja, natürlich. Einen Moment.« Der Arzt öffnete einen weiteren Schrank und nahm etwas heraus, dann kam er auf ihn zu. Jakob trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Im gleichen Moment spürte er den Einstich. Der Arzt sprang zurück und beobachtete ihn ängstlich aus sicherer Entfernung.
    »Was haben Sie getan? Was ist das?«
    »Es ist nicht gefährlich. Keine Angst.«
    »Sind Sie verrückt?«
    »Ich konnte Sie mir doch nicht entgehen lassen.«
    »Was haben Sie mir gespritzt?«
    »Och ... äh ...«
    Jakob spürte seine Glieder schwer werden.

44
    Eine meteorologisch ungewöhnliche Nacht. Doch niemandem fiel es auf. Selbst der Pfarrer würde erst am nächsten Morgen auf den Diagrammen seiner Instrumente ablesen, daß sich gegen Mitternacht der Wind vollständig gelegt hatte und die Temperatur innerhalb einer Stunde um fünf Grad gestiegen war.
    Es war eine ungewöhnlich betriebsame Nacht. In der Gaststätte hatte sich nach der Zertrümmerung des verhaßten Likörschrankes bei einigen die Reue gemeldet. Sie bestellten zur Wiedergutmachung Lokalrunden. (Kein Likör!) Der Kreis im Hinterzimmer dachte ebenfalls nicht daran, ins Bett zu gehen, da das übliche Quantum Heilwasser nur schleppend zur Verfügung stand. Aus der Gruppe, die den Studenten suchte, kamen einzelne immer wieder in die Gaststube, um zu trinken, manche blieben, andere schlossen sich neu an. Einige hatten vergessen, was sie suchten. Andere suchten das Vergessen.
    Der Pfarrer entdeckte erschrocken das Verschwinden seines Gefangenen. Er suchte den gesamten Brunnen ab und drang dabei einige Meter weiter als bisherige Forscher in einen halb eingestürzten Seitenstollen vor. (Keine Leichen!) Schließlich entdeckte er das herabhängende Seil und rekonstruierte, wie sich der Student befreit hatte. Er verließ den Brunnen, rannte durch das Dorf und stellte mit Entsetzen fest, daß noch andere auf der Suche nach Jakob Finn waren. Seine Befürchtung war eingetroffen. Gern hätte er jetzt den Gutsherrn triumphierend informiert, doch es gab Wichtigeres zu tun. Er eilte nach Hause, schlich in das Zimmer seiner sich schlafend stellenden Frau und holte ihren Revolver aus der Schublade. Schon vor einigen Monaten hatte er entdeckt, daß sie sich eine Schußwaffe besorgt hatte. Er nahm an, sie wollte sich damit töten, wenn ihre Schmerzen unerträglich würden. Bis jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt

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