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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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gewesen, mit ihr darüber zu reden. Deshalb hatte er einfach die Patronen entfernt und in einem alten Zuckertopf in der Küche versteckt. Er verließ das Schlafzimmer, um die Waffe zu laden, und bemerkte nicht, daß seine Frau die Augen kurz öffnete und lächelte. Sie hatte ihren Mann schon auf der Suche nach der Waffe erwartet. Nicht für sich selbst, sondern für diesen Fall hatte sie die Waffe besorgt.
    Der Pastor durchsuchte den Küchenschrank, doch er fand die Zuckerdose nicht. Er dachte nicht darüber nach, sondern nahm es als ein Zeichen. Er wollte ja selbst im Notfall gar nicht wirklich schießen. Der Anblick einer Waffe mußte Drohung genug sein, um die Verrückten auf der nächtlichen Dorfstraße von ihrem Vorhaben abzubringen. Er steckte die Waffe in den Hosenbund, zog sie dann noch einmal heraus, um sie genauer zu betrachten. Die Patronen befanden sich in der Trommel! Er rieb sich die Stirn, wollte sich auf einen Küchenstuhl setzen, um darüber nachzudenken, wie das hatte geschehen können, als draußen ein Schuß fiel. Er rannte hinaus. Keine der nächstliegenden nächtlichen Gestalten – ein Betrunkener, der sich in den Dorfteich übergab, zwei lallend Streitende vor der Friedenseiche – wußte, wer geschossen hatte. Er ging zum Gasthof. Zwei Hitzköpfe waren vor die Tür getreten, um sich zu würgen. Der Schuß sei von der Tischlerei gekommen, meinten sie. Der Pastor schloß sich einer im Laufschritt vorbeikommenden Gruppe an, die den Studenten suchte und ihn am Lichter Moor vermutete. Einer von ihnen behauptete plötzlich, der Student habe sich beim Überklettern des Tores zum Gutshof verfangen. Dort hänge er jetzt hilflos, und man müsse ihn nur herunterholen. (Wie einen Apfel!) Die Gruppe machte fast militärisch auf dem Absatz kehrt und begann durcheinanderzulaufen und übereinanderzufallen. Der Pastor lief an der Seite mit, obwohl er sich fragte, wieso man über ein Tor klettern müsse, das doch immer offenstand. Aber er war wohl der einzige, der diesen Gedanken hatte.
    Überall im Dorf brannte noch Licht in den Häusern. Niemand wollte in dieser Nacht schlafen gehen. Alle spürten das Besondere dieses Abends und warteten auf den Höhepunkt. Weit nach Mitternacht wurden in den Häusern noch gelierter Kohl, halbe gezuckerte Hähnchen, saure Blutsuppe und andere Spezialitäten gegessen, die sonst nur an Festtagen auf den Tisch kamen. Allesamt Spezialitäten, die über Herzensach hinaus keine Verbreitung gefunden hatten, hier aber seit ewigen Zeiten genossen wurden.
    Junge Paare gingen noch Arm in Arm spazieren mit der Begründung, am Lichter Moor würde einer der blutroten Sonnenuntergänge elektrisch wiederholt, wie sie an besonders warmen Sommerabenden zu beobachten waren. (Es war noch Frühling!) Wenn man Glück hatte, würde man anschließend Glühwürmchen fliegen oder Irrlichter im Moorwald flackern sehen (wie im Spätsommer) oder den Tischler in seiner Hütte auf Holz schlagen hören (wie immer).
    In einigen Häusern besann man sich auf die beliebten Herzensacher Spiele und warf mit Messern auf eine an der Wohnzimmertür hängende Wurst. Seit alters legte jede Herzensacherin bei ihrer Mitgift Wert auf Messer, die gut in der Hand lagen. Spitz und scharf und möglichst zweischneidig mußten sie sein, wenn sie sich für das Wurstspiel eignen sollten. Dazu wurden bei herkömmlichen Messern die Klingen ausgetauscht und die Griffe aufgebohrt und mit Blei gefüllt. Zu jedem Essen wurden sie wie ganz normale Tafelmesser vorgelegt und so manches Mal, um etwa der Begeisterung über ein besonders schmackhaftes Gericht Ausdruck zu verleihen, am Ende auf den Türpfosten geworfen. Wehe, sie blieben nicht stecken! Die Hausfrau konnte dies als Beleidigung empfinden.
    Beim Wurstspiel galt es, den Faden zu treffen, an dem die Wurst hing, und zugleich mit einem Sprung die abgeschnittene Wurst zu fangen. Nur wenn beides gelang, war man Sieger. Die meisten sprangen vergebens oder, wenn sie noch mehr Pech hatten, fingen nicht die Wurst, sondern das herabfallende Messer. Viele Herzensacher Spiele verursachten Schmerzen oder etwas Ähnliches – auf jeden Fall hatten sie etwas Blutiges.
    Auch in der Dachkammer im Haus des Tischlers brannte noch eine Lampe. Sie hatte statt eines Schalters einen Bewegungsmelder. Der Alte saß nicht in seinem Sessel, sondern kniete vor einer Truhe, durchwühlte sie fluchend und mit einer Beweglichkeit, die er nach Auskunft des Arztes eigentlich gar nicht mehr besaß. Der hölzerne

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