Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
Vom Netzwerk:
langsam die Treppe herunter – oder war es hinauf? Das Tempo sprach mehr für treppauf. Vielleicht war es die alte Frau? In was für eine unmögliche Situation war er jetzt wieder geraten? Wenn ihn jemand bemerkte, war er geliefert. Heidelinde Wulf traute er zu, daß sie ihn kaltlächelnd umbrachte, damit er das Geheimnis des Arzthauses nicht ausplaudern konnte. Er mußte hier verschwinden, so schnell wie möglich. Alles, was man ihm da draußen antun wollte, war im Vergleich dazu harmlos. Die Malerin würde ihn foltern. Wahrscheinlich besaß sie im Keller eine Streckbank, mindestens Daumenschrauben oder gar eine eiserne Jungfrau. Er sah sich um. Aus dem Fenster zu flüchten würde zuviel Lärm machen. Wahrscheinlich war das Holz vom Winter noch feucht und würde beim Öffnen quietschen. Er mußte auf dem Weg zurück, auf dem er gekommen war. Er zog seine Schuhe aus, verließ vorsichtig den Raum, schlich bis zur Treppe. Doch am Ende des Flures öffnete sich knarrend eine Tür. (Hilfe!) Jakob sah nur eine Chance: in den Keller hinunter! (Folterkeller!) Jemand kam von oben. (Das Ende!) Der Kellergang war vollkommen dunkel, aber noch jemand war hier unten. Er hörte in der Nähe ein Schluchzen. (Doch ein Folterkeller und in Betrieb!) Er hatte keine Chance, er konnte nicht zurück. Jemand stand oben am Treppenaufgang und atmete schwer. Er tastete sich den Gang entlang, bekam eine halb offenstehende Metalltür zu fassen. Er lauschte. Das Schluchzen war jetzt hinter ihm. War er daran vorbeigegangen? Er zog die Tür auf; in der Dunkelheit waren nur mehrere kleine rote Lämpchen zu erkennen. Wahrscheinlich die Heizungsanlage, eine Tiefkühltruhe oder ein elektrischer Stuhl. Egal, in manchen Kellern gab es Fenster und damit Fluchtwege. Er lauschte noch einmal in den Gang, dann zog er die Tür hinter sich zu. Sie schnappte ein, und erst jetzt bemerkte er, daß sie keine Klinke, sondern nur einen Knauf besaß, sich wohl nur mit einem Schlüssel öffnen ließ.
    »Der Lichtschalter ist links«, sagte eine Männerstimme. Jakob wartete auf die erlösende Ohnmacht. Als sie nicht kam, drehte er sich um. Es war nichts zu sehen; er suchte den Schalter.
    Als die Leuchtstoffröhren ihr Zucken aufgaben und gleich- mäßig strahlten, erkannte er den Arzt. Er saß auf einem Stuhl und stach sich eine Spritze in den Arm.
    »Ich mache es immer im Dunkeln. Sie lachen, aber ich finde, ein guter Arzt sollte die Venen auch im Dunkeln finden.«
    Jakob lachte nicht, er wußte nicht, ob er sich überhaupt noch bewegen konnte. Es mußte ein Traum sein!
    »Wissen Sie, die Vervollkommnung ärztlicher Techniken für die unterschiedlichsten Notfälle ist ganz wichtig, um sich im entscheidenden Moment auch adäquat verhalten zu können.« Er saugte etwas Blut ab, winkelte den Arm an und legte die Spritze zur Seite.
    »Vielleicht brauche ich diese Woche mein Blut nicht untersuchen zu lassen, sondern Sie können mir sagen, ob sie mich vergiften will.«
    Jakob bewegte ein Bein, machte einen halben Schritt wie Doktor Frankensteins Monster. »Wer will Sie vergiften?«
    »Meine Frau. Waren Sie nicht gerade auf dem Weg zu ihr?«
    »Ich?« Jakob sank erleichtert etwas in sich zusammen.
    »Ja, oder warum haben Sie Ihre Schuhe in der Hand?«
    »Oh, nein. Das ist Zufall.« Er zuckte unmotiviert mit den Armen.
    »Sie können es ruhig gestehen, ihr Liebhaber zu sein. Meine Frau und ich, wir leben zwar in einem Haus, aber getrennt. Ich kann also gar nichts dagegen haben.«
    Jakob hatte den lähmenden Schrecken endlich überwunden und versuchte zu erklären, warum er in das Haus gekommen war; dabei sah er sich in dem Kellerraum um. Es war ein Labor, vollkommen weiß gekachelt und ausgestattet mit einer Reihe von blitzenden Geräten sowie .den typischen Stahlschränken mit Glastüren. Die Lichter, die er gesehen hatte, gehörten zu zwei großen Kühlschränken. Wahrscheinlich machte der Arzt die meisten Laboruntersuchungen für seine Patienten selbst. Doktor Bernhard Andree hatte inzwischen sein Blut in mehrere Reagenzgläser verteilt. Er schob sie allerdings zurück und sah den Studenten zum ersten Mal richtig an. Jakob bemerkte, daß dem Doktor Tränen über die Wangen liefen.
    »Es tut mir leid, wenn ich Sie irgendwie gestört habe. Ich werde sofort wieder gehen.«
    »Das Verrückte ist«, schluchzte Doktor Andree, »ich liebe sie trotzdem. Und ich würde alles tun, um sie zurückzugewinnen.«
    »Ihre Frau?«
    »Wissen Sie, sie hält mich für einen Schlappschwanz,

Weitere Kostenlose Bücher