Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
Vom Netzwerk:
verlassen. (Guter Hund! Braver Hund!)
    Wie auch immer, es gab für den Pastor anderes zu bedenken. Er hatte fest damit gerechnet, daß Petra Timber zum Gottesdienst erscheinen würde. Denn nach allem, was er gesehen hatte, mußte die Tischlersfrau ihr Schweigen brechen. Das Geheimnis der Herkunft Katharinas mußte gelöst werden. Denn wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, galt es, ein Unglück zu verhindern.
    Der Pfarrer ging zur Straße und spürte den Revolver in seinem Hosenbund. Er fragte sich, ob sich die Waffe unter seinem Talar abzeichnete. Aber vielleicht war es gut, wenn seine widerspenstige Gemeinde bemerkte, daß er nicht schutzlos war. Seine nächtliche Suche nach dem Studenten, um ihn vor dem Mob zu beschützen, war ergebnislos verlaufen. Aber auch die andere Seite hatte keinen Erfolg gehabt. Jakob Finn blieb verschwunden. Der Pfarrer hatte sich deshalb am Morgen entschlossen, die Waffe weiterhin zu tragen. Die Kontrolle nur einiger weniger Meßgeräte hatte schließlich auch für den Sonntag höchste Gefahr signalisiert.
    Der Betrunkene saß noch immer vor der Gasthaustür. Rudolf Pedus überquerte die Straße, um ihn mit einer Drohung von Hölle und Verdammnis aufzuschrecken. Er erreichte ihn, blieb stehen und donnerte ein »Grüß Gott«. Der Mann rührte sich nicht, und der Pastor entdeckte, daß er auf dem Stuhl festgebunden war. Dann sah er die trockene Wunde an der Stelle, wo normalerweise der rechte Daumen sitzt, und für einen Moment befürchtete er, es sei der Tischler. Er rüttelte ihn, hob seinen auf die Brust gefallenen Kopf und sah ihm ins Gesicht. Der Mann war ein Fremder und offensichtlich schon lange tot.
    »He, das ist meiner«, lallte eine Stimme aus dem Eingang des Gasthauses. »Den brauch ich noch!«
    Der Betrunkene hielt sich an der Tür fest; aus dem Raum hinter ihm drangen Rauchschwaden, Stimmengewirr und der Geruch nach Bier und Urin.
    »Den kannst du nicht haben, das ist meiner. Den brauch ich noch als Geschenk. Verstehst du?« formulierte der Mann mühsam (unter bequemer Auslassung zahlreicher Laute, die hier der Verständlichkeit halber wieder eingefügt wurden).
    »Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht.«
    »Ich kenn dich auch nicht. Jetzt kennen wir schon jeder einen, der einen nicht kennt. Und ich kenne sogar zwei. Den da kenne ich auch nicht.« Er wies auf die Leiche. »Aber den muß ich noch abliefern.« Er rülpste. »In der Hölle!« Er lachte.
    »Ich fürchte, Sie sind bereits in der Hölle angekommen«, sagte der Pastor lächelnd.
    »Dann müssen Sie der Teufel sein.«
    Das freche Grinsen provozierte Rudolf Pedus, und er griff nach hinten, unter seinen Talar.
    »So ist es«, sagte er und richtete den Revolver auf den Fremden. »Deshalb werde ich dich jetzt mitnehmen!«
    »Halt! He! Moment. Das war nur ein Witz!« Er taumelte erschrocken zurück.
    »Amen«, sagte der Pfarrer, steckte den Revolver zurück und ging weiter. Diese Leiche sollte im Augenblick nicht seine Sorge sein. Er würde später aufräumen. Er freute sich an dem Bild, wie der Betrunkene in der Kneipe erzählte, ein Pastor hätte mit einem Revolver auf ihn gezielt. (»Der Teufel im Talar, wenn ich es doch sage!«)
    Es gab viel aufzuräumen. Aus dem Eingang zum Büro des Tischlers ragte ein Bein mit einem Stiefel. Der Student war es nicht. Sollte es sich um die nächste Leiche handeln? Hatten die Dorfbewohner in dieser Nacht so sehr gewütet? Das wäre das erste Mal, daß mehr als ein Toter zurückblieb. Er schwankte einen Moment, ob er sich darum kümmern sollte, dann kam ihm der schreckliche Gedanke, daß man die Wohnung des Studenten gestürmt, dieser sich verteidigt hatte und sich nun im Treppenhaus – wie vor einer Burgmauer – die Leichen stapelten. Er öffnete die Tür und erkannte nun den im Eingang liegenden Mann. Es war Otto Timber, der ihn mit weitaufgerissenen Augen anstarrte. Er lebte, befand sich aber in seinem Zustand der Starre. Der Pfarrer sprang über ihn hinweg, stolperte fast über den Säbel und hastete die Treppe hinauf. Seine Befürchtungen verstärkten sich, als er die offene Wohnungstür bemerkte.
    »Hallo!« rief er laut. »Lebt da noch jemand?«
    Er stieß die Tür auf, beachtete die bemalte Frauenleiche in der Küche kaum, sondern stürmte bis ins Schlafzimmer. Erleichtert kehrte er zurück. Der Student schien sich gerettet zu haben. Er setzte sich einen Moment auf die Küchenbank, bis sich sein jagendes (madenzerfressenes?) Herz beruhigte. Dann kniete er sich neben die

Weitere Kostenlose Bücher