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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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es dann wieder einfror, wieder auftaute, aufschnitt, vernähte ...? Jakob würgte noch mal, anschließend spülte er sich gründlich den Mund. Er mußte hier raus, so schnell wie möglich. Er nahm noch einmal den gesamten Raum in Augenschein, und dabei kam ihm die Idee, daß sich unter dem aufgeschraubten Türknopf vielleicht die ursprüngliche Klinkenmechanik befand. Sein Schraubmesser paßte. Er drehte zwei der vier Schrauben heraus und mußte eine Pause machen, weil seine Hände völlig kraftlos wurden. Wenig später entfernte er die restlichen Schrauben, nahm den Türknopf ab. Es war, wie er vermutet hatte. Mit einem passenden Vierkant oder ähnlichem würde sich die Tür öffnen lassen – vorausgesetzt, sie war nicht zusätzlich abgeschlossen. Mit dem Messer und einer der Operationszangen gelang es ihm, den Mechanismus zu drehen. Die Tür sprang auf. Wieder erfaßte ihn eine Welle der Schwäche. Mit weichen Knien betrat er den Kellergang. Er brauchte etwas zu essen. (Kohlrouladen mit ... nein, Kartoffelklöße ... nein, Bratheringe mit Bratkartoffeln ... Pfannkuchen, genau, Pfannkuchen mit Preiselbeeren!)
    Leichte Übelkeit überkam ihn. Er brauchte etwas zu essen, dringend. (Bauernfrühstück mit Gewürzgurken ... nein, Giros mit Pommes frites ... nein, Kartoffelmus mit Birnen und Speck ...?)
    Ob er es überhaupt noch schaffen würde? Sein Magen schaukelte an der Speiseröhre wie eine eiserne Kugel an der Kette. (Einfach nur ein Stück trockenes altes Brot mit etwas klarem Wasser, bitte ...)
    Das nächste Mal würde er vorsichtiger sein, leichte Dinge, kleine Mengen und langsam essen. Es war zu lange her, daß er seinem Magen etwas gegönnt hatte, und die Medikamente des Arztes schienen sich zusätzlich auf seinen Verdauungstrakt auszuwirken. Er ging bis zur Treppe. Im Haus war es ruhig. Der Gedanke, in die Küche des Hauses zu gehen und dort Berge von frischen, dampfenden Brotlaiben vorzufinden, etwas Milch aus dem Wasserhahn zu zapfen, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er vergaß alle Vorsicht, stieg in normaler Gangart die Treppe hinauf und ging direkt in die Küche. Es war niemand darin. Er öffnete den Kühlschrank, nahm eine Milchflasche heraus, griff sich einen Becher vom Wandregal und goß sich ein. Er trank die kalte Flüssigkeit in kleinen Schlucken und sah sich dabei nach Brot um. Es befand sich in einem Korb und war mit einem Tuch abgedeckt. Er riß mit den Zähnen kleine Stücke ab und kaute sie lange.
    »Wer – was?« Die alte Frau war hereingekommen und starrte ihn ungläubig an. »Sie, Sie sind der ...«
    »Wer?« Jakob brach gelassen ein weiteres Stück Brot ab und trank einen Schluck Milch. »Na, wer bin ich?«
    »Ich schreie!«
    »Warum?«
    »Ich schreie, wenn Sie mir was tun!«
    »Ich tue Ihnen nichts.«
    »Warum nicht?«.
    »Warum sollte ich?« Das Essen tat Jakob gut. Er behielt es bei sich, und es gab ihm das sichere Gefühl, daß ihm nichts geschehen werde, solange er nur aß.
    »Ich schreie!«
    »Meinetwegen.«
    »Ich schreie wirklich.«
    »Ich kann es nicht verhindern.« Das Brot war nicht mehr frisch, schmeckte aber nach allen Köstlichkeiten, die ihm gerade in den Sinn kamen.
    »Sie sind doch der, den alle suchen?«
    »Bin ich das?«
    »Ich schreie!«
    »Bin ich gefährlich?«
    »Ich schreie wirklich!«
    »Was soll ich denn getan haben?«
    »Wenn Sie mich anfassen, schreie ich!«
    »Ist ja gut.« Langsam gewann er den Eindruck, als wollte die alte Frau ihn provozieren, sie anzufassen – und er war sicher, sie würde dann nicht schreien.
    »Ich schreie gleich!«
    »Sicher.« Er aß ruhig weiter und trank seine Milch aus.
    »Ich warne Sie, ich schreie!«
    »Was kann ich dagegen tun?«
    »Sie müssen mir den Mund zuhalten!«
    »Ach so.«
    »Jetzt schreie ich!«
    »Moment. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Warten Sie bis heute abend. Ich komme dann zurück, halte Ihnen den Mund zu und fessle Sie. – was immer Sie wollen. Einverstanden?«
    Die Frau runzelte die Stirn, wich zurück, drückte sich gegen die Wand. »Ich schreie!«
    »Klar.«
    Er verließ die Küche, ging zur Hintertür. Er war satt, hatte keine Angst mehr, und ihm fiel die kopierte Namenliste aus dem Labor ein. Was hatte sie zu bedeuten? Irgend etwas stimmte mit den Dorfbewohnern nicht, vielleicht waren sie alle krank? Vielleicht war es eine Vorsichtsmaßnahme, daß es kaum Wegweiser nach Herzensach gab? Vielleicht war das Dorf eine einzige Quarantänestation oder der Großversuch eines Arzneimittelunternehmens

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