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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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anlegen.«
    Rudolf Pedus ahnte einen Zusammenhang mit der daumenlosen Leiche vor dem Wirtshaus.
    »Haben Sie versucht, für Ihren Sohn einen neuen Daumen zu besorgen?«
    Der Alte blieb stehen, salutierte. »Exzellenz, ich vertraue Ihnen etwas an. Tragen Sie Sorge dafür, daß mein Sohn das so schnell wie möglich erhält. Ich rechne mit Ihnen!« Er nahm die Hand herunter, griff in sein Hemd und holte einen in ein Taschentuch gewickelten Gegenstand hervor. Er reichte ihn dem Pastor.
    »Sicher. Aber zuerst bringe ich Sie nach Hause.« Er befühlte das Tuch, steckte es ein und drängte den Alten weiter. Otto Timber war zufrieden und ließ sich ohne Widerstand um die Ecke und zur Wohnung hinaufführen. Im ersten Stock betraten sie die Küche. Das Fenster war weit geöffnet, darunter, auf der Bank, lag Petra Timber, und vor ihr auf den Holzdielen lag ein Jagdgewehr. Der Pfarrer beugte sich über sie. Erleichtert stellte er fest, daß sie nur schlief.
    »Petra!«
    Sie fuhr hoch und starrte die beiden an. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich faßte und wußte, was geschehen war. Sie sprang auf und ging zum Wasserhahn. »Ich mache wohl besser einen Kaffee.« Sie begann hektisch am Herd zu hantieren, Töpfe hin- und herzuschieben, mit Geschirr zu klappern und Besteck zu sortieren.
    Der Pfarrer ließ den Alten auf die Sitzbank nieder, schob ihn so an die Mauer, daß er bei einer plötzlichen Ohnmacht nicht herunterfallen konnte. »Der Sieg ist unser, meine Tochter, trotz schweren Beschusses haben wir die Schlacht gewonnen«, sagte Otto Timber. Er sank etwas zusammen, kam noch einmal hoch: »Der Schatz ist in unseren Händen und schon unterwegs zum Zimmermann, damit er uns neue Schiffe bauen kann!«
    Die Kaffeemaschine begann zu schnorcheln. Petra Timber rückte den Tisch vor die Bank, zog einen Stuhl heran und legte das Gewehr auf den Tisch. »Was ist geschehen? Was habe ich nur getan? Ich wollte es nicht.« Sie setzte sich und versteckte ihr Gesicht hinter den Händen. »Ich hatte solche Angst.«
    Der Pfarrer legte eine Hand auf ihre Schulter. »Alles wird gut.«
    »Mein armer Mann.«
    »Wo ist Katharina?«
    »Und ohne Daumen!« Sie nahm die Hände vom Gesicht. »Katharina? Ist sie tot?« Petra Timber heulte los.
    »Aus der Daumen, aus dem Sinn!« brüllte der Alte.
    »Nein. Beruhige dich.« Der Pastor schüttelte die Tischlersfrau.
    »Aber ich habe geschossen.«
    »Jeder Schuß ein Ruß«, quakte der Alte.
    »Auf wen?«
    »Auf den Studenten.«
    »Was essen die Studenten?« meldete sich der Alte.
    »Er ist in Sicherheit.«
    »Er lebt?«
    »Nur verletzt. Keine Sorge.« Pedus wartete, bis sich Petra Timber beruhigte, doch der Alte fuhr brüllend dazwischen: »Je größer die Wunde, je eher vor die Hunde!«
    Petra Timber wurde erneut von heftigem Schluchzen geschüttelt.
    »Er hatte auch einen Hund«, fuhr Otto Timber mehr zu sich selbst fort. »Heil Hund!«
    Rudolf Pedus stand auf. »Ich bringe deinen Schwiegervater nach oben. Er nervt. Bleib hier und beruhige dich inzwischen.«
    Der Alte ließ sich widerspruchslos hochziehen und die Treppe hinaufschieben. »Alle großen Menschen hatten einen Hund. Nur Napoleon nicht. Ha, der war ja auch klein.« Otto Timber redete mit sich selbst. Der Pfarrer setzte ihn in seinem Zimmer in den Lehnstuhl. Der Alte stöhnte, riß die Augen auf und versank in seine Starre. Rudolf Pedus stutzte, vielleicht war etwas an diesem Sessel, das die Bewegungslosigkeit des Alten auslöste? Doch darum würde er sich demnächst kümmern. Es gab viel aufzuräumen. Eins nach dem anderen. Er stieg wieder hinunter. Petra Timber hatte inzwischen geblümte Tassen und Teller aufgedeckt, Papierservietten gefaltet, Blumen aufgestellt und eine Platte mit zwei Sorten selbstgebackenen Keksen dekoriert.
    Der Pfarrer setzte sich und betrachtete den Tisch.
    »Das war nicht nötig.«
    »Ich habe es nur getan, weil es mich beruhigt.«
    Sie goß Kaffee ein. Rudolf Pedus schob einen Keks wie ein Spielzeugschiff auf seinem Teller hin und her. Ein Sturm kam auf, die Wellen schlugen hoch, mit Müh und Not erreichte das Schiff den Tellerrand.
    »Du weiß, daß im Gutshaus geheiratet werden soll.«
    »Ja, so sagt man.«
    »Ich war gestern da, und ich glaube, ich weiß, wer da vermählt wird.«
    Petra Timber lachte. »Natürlich, der Gutsherr ...«
    »... mit Katharina!« ergänzte er.
    Petra Timber spuckte den Kaffee aus und sprang auf: »Nein! Sag, daß das nicht wahr ist!«
    Der Pfarrer schwieg, probierte den Kaffee und

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