Herzensach - Roman
anderes? Komm, Claudia, sprich dich aus.« Die Worte perlten aus ihr heraus, doch Claudia ließ sich nicht beeindrucken, blieb stumm.
»Claudia! – Was hast du?«
Sabine Weber ging um das Mädchen herum. »Was ist geschehen?«
Die Tochter der Försters spürte, wie sie Macht über ihre Gegnerin erhielt. »Es ist Schluß«, sagte sie.
»Liebste Claudia, nun setz dich doch erst einmal. Wir werden das alles wieder einrenken. Mach dir keine Sorgen.« Sie versuchte sie am Arm zu nehmen und zu einem Stuhl zu führen. Claudia riß sich los.
»Du weißt genau, was ich meine. Ich werde nicht mehr tun, was ihr verlangt. Es ist endgültig aus.«
»Aber Mädchen, was ist denn los. Du machst mir ja richtig angst. Ich verstehe dich nicht. Niemand will etwas von dir. Niemand zwingt dich zu etwas. Was redest du da?«
»Du und Heidelinde, ihr könnt nicht mehr über mich bestimmen. Ich mache nicht mehr mit. Ich habe keine Angst mehr vor euch.«
»Claudialein, komm, setz dich endlich und beruhige dich. Wir wollen doch nur dein Bestes. Hast du dich verliebt? In den Studenten? In einen anderen? Niemand will deinem Glück im Weg stehen. Du wirst sehen, wir helfen dir. Wir wollen dir doch jeden Wunsch erfüllen. Wir lieben dich doch.«
»Ihr könnt mich nicht mehr erpressen. Ich gehe zur Polizei!«
Sabine Webers besorgtes und mitfühlendes Gesicht verzerrte sich zu einem hämischen Grinsen, sie warf den Kopf in den Nacken und begann zu lachen.
»Und dein Vater«, schnaufte sie atemlos, »was sagt der dazu?« Sie lachte aufs neue, doch dann wurde sie ernst: »Kindchen, denk an deine Zukunft.«
Claudia schüttelte den Kopf. »Es ist vorbei.«
Sabine Webers Augen wurden schmal. »Du bist Mitwisserin! Glaubst du, du kommst davon?«
»Ich habe mich entschieden.«
»Was willst du tun?«
»Die Wahrheit sagen.«
»Was ist die Wahrheit? Was weißt du denn? Glaubst du, es stimmt alles, was wir dir über deinen Vater erzählt haben? Es war nur, um dich einzuschüchtern. Claudia, glaub mir, es ist alles gar nicht wahr. Du kannst es niemandem erzählen. Man wird dich für verrückt halten, man wird dich in eine psychiatrische Anstalt einsperren. Claudia, wach auf!«
Claudia hatte sich ihren Triumph anders vorgestellt, dramatischer, mit entsetzten Blicken von Sabine Weber, vielleicht auch Tränen, aber es genügte ihr, so wie es war. Sie wandte sich ab, um zu gehen. »Ihr müßt euch fürchten, denn ihr seid es, die von den Verbrechen gewußt habt. Ihr müßt euch fürchten, denn ihr habt euer Wissen benutzt, um mich zu erpressen.«
»Claudia! Bleib hier!«
Sie ging mit den gleichmäßigen festen Schritten hinaus, die sie hergebracht hatten. Was hatte sie erwartet? Daß Sabine Weber oder Heidelinde Wulf alles verzweifelt gestehen würden? Diese beiden Frauen waren verschlagen und hinterhältig. Immer würden sie Ausflüchte suchen. Und sie selbst würde erpreßbar bleiben, wenn sie nicht konsequenter war, schonungsloser mit sich selbst umging. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewußt, wie ihr Plan wirklich enden mußte.
An der Ecke zur Dorfstraße verbarg sie sich. Sie brauchte nicht lange zu warten. Sabine Weber sprang aus ihrer Kate und rannte ins Dorf zum Haus des Arztes.
Claudia lächelte. Sie hatte keine Angst, vor nichts und niemandem. Sie marschierte nach Hause. Ging ins Wohnzimmer zu dem Schrank mit den Glasscheiben und dem engen verzierten Gitter davor. Noch immer war der eine Gewehrständer leer und der Vater noch nicht zurück. Sie nahm den Schlüssel von der oberen Leiste und schloß den Schrank auf. Auf dem Boden lag eine Kassette. Sie öffnete sie, wählte von den beiden Pistolen die leichtere aus und nahm sie, zusammen mit einer Schachtel Patronen, heraus. In der Jagdsaison hätte der Vater diese Pistole im Wald bei sich gehabt. Sie war für den Fangschuß aus nächster Nähe gedacht.
Sie konnte damit umgehen. Ihr Vater hatte es gewollt. Doch bisher hatte sie nur ein einziges Mal einen Schuß daraus abgegeben – auf ein Stück Papier, vom Vater in den Kirschbaum gehängt. Ein Volltreffer beim ersten Schuß. Das reichte.
Sie drückte den Verschluß des Magazins auf und lud die Waffe sorgfältig, dann ging sie zur Hintertür hinaus in den Garten. Der Vater kam immer von dieser Seite aus dem Wald. Sie kannte seinen Weg, ging ihm entgegen, hob die Pistole und zielte dorthin, wo sein Kopf sein würde.
56
Verdammte Situation. Er wußte sich nicht zu helfen. Er gab es auf, ihren Namen zu wiederholen, sie zu
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