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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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bitten, ihn anzusehen. Er fragte nicht mehr, was geschehen war. Er setzte sich ihr gegenüber ins Gras und beobachtete sie. Etwas Unfaßbares mußte ihr begegnet oder geschehen sein, etwas Ungeheures.
    Jakob dachte an eine wilde Horde von Besoffenen, die sie, mit Mistgabeln bewaffnet, verfolgten – und strich dieses Bild. Katharina wäre damit fertiggeworden. Es hätte sie nicht so verstört.
    Vielleicht war ihr Pflegevater aus dem Krankenhaus zurückgekommen, und sie hatte mit ihm gestritten, wegen seiner Arbeiten in der Hütte am See. Nein. Welche Situation er sich auch ausdachte, Katharina hätte sie alle bewältigt. Kein Grund, sich aus dem eigenen Körper zurückzuziehen.
    Er dachte an seine eigenen Erfahrungen, an jene Situation, als er sich nach dem Flugzeugabsturz für eine Weile aus der Wirklichkeit verabschiedet hatte. Nur ein Ereignis, das das gesamte Weltbild ins Wanken brachte, erzeugte solche Zustände. Obwohl er so etwas selbst erlebt hatte, wußte er nicht, was zu tun war. Wenn sie bloß reden würde! Doch Katharina bemerkte ihn gar nicht. Sie hockte im Gras, den Oberkörper umschlungen, und schaukelte leicht hin und her, als würde sie vom Wind bewegt.
    Plötzlich stand sie auf, schien ihn für einen kurzen Moment wahrzunehmen, dann betrachtete sie das Gras, ging zu einem Baum, setzte sich mit dem Rücken an seinen Stamm.
    »Katharina!« Er ging ihr nach, hockte sich neben sie. Ihr Blick war nicht mehr so starr. Sie ließ ihn suchend über den Boden gleiten, sah hinüber zum Waldrand und kniff die Lippen zusammen. Die Sonne fand im dichten Dach der Buchen und Eichen immer noch Lücken, schickte ihre Strahlen hinunter auf die kleinen Bäume, die das Licht in Besitz nahmen, als würden ihre jungen Blätter von innen glühen. Ein schwarzer Vogel löste sich aus einer Eichenkrone, schimpfte mit schrillem Geschrei über die Lichtung. Flatterte in den Bäumen direkt über ihnen.
    Jakob sah hinauf und lächelte. »Der will uns vertreiben. Wahrscheinlich halten wir ihn davon ab, im Gras nach Käfern zu suchen.«
    »Bring mich weg. Weit weg.« Ohne Kraft, fast tonlos hatte sie es gesagt.
    »Dann komm.« Er stand auf, reichte ihr die Hand, doch sie nahm sie nicht. Sie stand auf, folgte ihm mit gesenktem Kopf zum Waldweg. Er blieb stehen.
    »Frag mich nicht«, sagte sie, den Blick auf den Boden gerichtet.
    Schweigend gingen sie weiter. Katharina immer einen halben Schritt hinter ihm. Nach einer Weile sagte sie: »Du hast gesagt, ich könnte mir dir fahren. Weg von hier.«
    »Ja, natürlich.« Er blieb stehen, wollte ihr ins Gesicht sehen. Sie ließ es nicht zu.
    »Dann fahr jetzt, sofort.«
    »Gut.«
    »Ich komme nie wieder zurück.«
    »Gehen wir zum Wagen.«
    »Nein. Ich gehe nur bis zur Straße. Dort warte ich. Ich gehe nicht ins Dorf zurück.«
    »Fürchtest du ...«
    »Laß es sein!« Sie schüttelte den gesenkten Kopf. »Und noch etwas: Wehe, du faßt mich an. Ich bringe dich um.« Er wußte, sie meinte es vollkommen ernst. Er ging weiter, sie blieb hinter ihm. Nach einer Weile erzählte er, daß er ebenfalls vorgehabt habe, das Dorf schnell und endgültig zu verlassen. Als Grund nannte er nur die von den Dorfbewohnern veranstaltete Jagd auf ihn. Katharina antwortete nicht und stellte keine Fragen, selbst wenn er die Ereignisse so schilderte, daß nur Fragen sie vervollständigt hätten. Es schien sie nicht mehr zu interessieren, was im Dorf vor sich ging.
    Sie erreichten die Straße nach Weinstein.
    »Ich warte hier.« Sie setzte sich an den Straßengraben. Er ließ sich neben ihr ins Gras sinken.
    »Was ist? Geh!« Sie sah ihn noch immer nicht an. »Worauf wartest du?«
    »Es kann sein, daß ich es nicht schaffe.«
    »Was?«
    »Nur für den Fall. Da unten sind ein paar, die wollen mich umbringen. Ich meine, hast du Geld? Damit du eventuell allein ...«
    »Was willst du?«
    »Wenn ich nicht zurückkomme. Meine Brieftasche und meine Autoschlüssel sind in der braunen Jacke. Sie hängt in meinem Zimmer im Kleiderschrank. Nimm dir, was du brauchst. Fahr nach Hamburg. Du kannst in meiner Wohnung wohnen. «
    »Ich kann nicht Auto fahren.«
    »Oh.« Er überlegte, welche andere Vorsorge er treffen könnte.
    »Wollen die dich wirklich umbringen?« fragte sie. Noch immer sah sie ihn nicht an.
    »Es sieht ganz so aus.«
    Sie schwieg. Nach einer Weile sagte sie: »Du mußt allein gehen. Ich kann nicht mitkommen. Ich kann niemanden sehen.«
    »Es gibt niemanden ...?«
    »Nur Trivial.«
    »Er ist tot.« Im selben

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