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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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versuchte eifrig, weitere Kinder ins Leben zu setzen, bis eine Kugel ihm selbst das Leben nahm. Sie traf ihn gleich in den ersten Tagen des Ersten Weltkrieges.
    Maria Glaser trat vom Fenster zurück und setzte sich wieder in die dicken Kissen ihres Lehnstuhls. Sie kannte die Ahnenreihe der van Gruntens, als wäre es ihre eigene. Unten in der Halle hingen die Porträts aller Gutsherren, einschließlich das des Piraten – nur Jans Bildnis fehlte noch. Bilder, die mit dunklen Farben, künstlichen Brüchen im Lack und schweren Goldrahmen (waren die Holzwurmlöcher echt?) den Eindruck erwecken sollten, als hingen sie schon fünfhundert Jahre dort. Ob Cornelius und sein Sohn Hendrik, der erste Siedler in Herzensach, ihren Konterfeis entsprachen, ist fraglich. Die Ahnengalerie wurde erst in den dreißiger Jahren eingerichtet, und von beiden gab es keine historisch gesicherten Abbildungen. Maria hatte die Galerie nie gefallen. Zu sehr hatte der Maler sich von der Piratenherkunft der Familie gefangennehmen lassen und jedem der sechs van Gruntens einen unheimlichen Blick oder gar grausamen Ausdruck ins Gesicht gemalt.
    Um das Gutshaus nahm die Dunkelheit zu, die Vögel verstummten. Endlich huschten Scheinwerfer über die Fassade. Die beiden Hunde im Zwinger begannen zu bellen. Maria erkannte den metallic-grünen Jaguar ihres Herrn, der fast geräuschlos zwischen den Pappeln entlangschlich. Sie hatte noch Zeit, der junge Herr würde sich erst umziehen. Sie stand trotzdem auf und machte sich auf den Weg in die Küche. Wenn man die Gicht in den Knochen hatte, war es ein langer Weg. Sie stieß gegen ein Tischbein, ignorierte aber den Schmerz und die neue Wunde an ihrem malträtierten Schienbein. In dem dunklen Flur schlossen sich ihre Hände fest um den Handlauf des Treppengeländers. Wenn man zwei, drei Gläser »Lustige Blaubeere« in den Knochen hatte, wurde man lustiger, aber nicht sicherer. Wegen der schlechten Beleuchtung hatte sie sich angewöhnt, die Treppenstufen zu zählen, doch nach der elften war da plötzlich kein Treppenabsatz, und sie fiel in die Tiefe. Die Höhe von knapp fünfzehn Zentimetern, die Höhe einer weiteren Stufe, reichte aus, sie auf die Knie stürzen zu lassen, wobei sie mit den Ellbogen und dem Kopf gegen das Geländer rammte. Sie hatte sich verzählt.
    Ächzend zog sie sich hoch, knickte ein und mußte sich auf die Stufen setzen, bis der Schwindel verging. Sie schniefte Blut.
    Mein Gott, dachte sie und versuchte ihren rasselnden Atem zu beruhigen, bloß jetzt nicht sterben, nicht bevor das Dessert serviert ist.
    Das Personal hatte sich zur Begrüßung vor der großen hölzernen Eingangstür aufgestellt. Jan van Grunten betrat die erste der schneeweißen Stufen und wäre fast gestürzt. Etwas Weiches befand sich unter seinen Sohlen. Er schlüpfte lachend aus den Schuhen und nahm die restlichen Stufen in Socken und zwei Sätzen. Er reichte der Haushälterin und ihrem Mann sowie seinem Verwalter Jürgen Vietel die Hand. Er sah ihren Gesichtern an, daß sie alle Nachrichten loswerden wollten, hob abwehrend die Hände und sagte lachend: »Alles später, bitte. Ich habe einen ungeheuren Hunger.«
    Jeder weiß, mit solchen Sätzen beginnen die wirklich angenehmen Abende. Und keiner der drei hätte dem jungenhaften Charme des Gutsherrn widerstehen können. Schon gar nicht der Verwalter Jürgen Vietel, der seinen Herrn mehr liebte, als dies gemeinhin unter Männern üblich ist. Doch das ist eine andere Geschichte.
    Befreit von dem maßgeschneiderten Anzug aus blauem englischen Tuch und der schwarzorange gestreiften Krawatte, den Farben des Hauses van Grunten, und erfrischt von einer kurzen Dusche, erschien Jan im Speisesaal, den sein Ururgroßvater im Stil eines Rittersaales ausgestattet hatte. Ein Raum, der mit seiner deckenhohen Holztäfelung, den eingearbeiteten Wappen (erfunden) und einer reichen mittelalterlichen Waffensammlung (gestohlen), dem langen, schweren Holztisch und den beiden Koggenmodellen (billige Nachbauten) als Leuchtern darüber Jans Phantasie seit seiner Kindheit anzuregen vermochte. Hier hatte er heimlich unter dem Tisch gespielt, sich als Ritter gefühlt, der gegen übermächtige Gegner kämpfen mußte. Der junge Gutsherr setzte sich an das gedeckte Kopfende des Tisches, ließ sich von der Haushälterin eine Rehkeule servieren, während ihr Mann Werner den Rotwein öffnete, einschenkte und wartete, bis Jan ihn probiert und für gut befunden hatte.
    »Ach, bitte, bringen Sie mir zum

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