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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Nachtisch auch die Post.«
    Manuela Kotschik runzelte leicht die Stirn. Jan lachte sie offen an. »Ich weiß, es ist stillos und es gehört sich nicht, machen Sie eine Ausnahme bei einem Mann, der sehnsüchtig einen parfümierten Brief erwartet – mit Worten, die seiner Seele guttun.« Er grinste vor Stolz über seine sprachliche Gewandtheit.
    Die Haushälterin zog die Augenbrauen hoch und nickte. Sie mochte es nicht, wenn Worte und Gestik einander widersprachen. Manchmal brachte sie das vollkommen durcheinander. (Nach solchen Erlebnissen legte sie sich in der Regel mit einer Wärmflasche in Form eines Teddybären ins Bett.)
    Der Gutsherr stürzte sich auf den duftenden, saftigen Braten. Er war allein und brauchte nicht auf Etikette zu achten.
    Endlich war es soweit. Langsam und vorsichtig trug Maria ihren mit brauner Butter und Blaubeeren übergossenen Hefekloß vor sich her. Jeder Schritt stach ihr in den Beinen und löste einen wirbelnden Schmerz in ihrem Schädel aus. Manuela Kotschik öffnete ihr die Tür zum Speisesaal. Jan sprang auf, ging Maria entgegen.
    »Maria!« Er nahm ihr den Teller ab, schnupperte begeistert daran, stellte ihn auf den Tisch und umarmte die alte Frau.
    »Maria, Sie sollen das doch nicht mehr tun.«
    Er nahm ihre alten Hände in die seinen und streichelte sie. »Danke«, sagte er. »Danke für alles!«
    Für einen winzigen Augenblick waren Marias Schmerzen wie fortgeblasen. Mit wässerigen Augen verließ sie den Saal. Die Haushälterin legte die angesammelten Briefe auf den Tisch und folgte Maria.
    »Er ist immer noch ein kleiner böser Junge«, sagte sie und ließ die alte Frau in der Halle stehen, um zurück in die Küche zu gehen.
    Maria schlurfte glücklich in Richtung Treppe. Das Glück würde ihr bis in die Dachkammer folgen. Vielleicht gab es im Spätprogramm noch einen Film mit einem Gutsherrn, der gut zu seiner alten Haushälterin war! Doch bevor sich Maria die erste Stufe hinaufgezogen hatte, hörte sie ein Lachen, das einem Schrei glich, ein Poltern und Klirren von zerbrechendem Glas; es kam aus dem Speisesaal. So schnell sie konnte, kehrte sie um, zog die schwere Tür einen Spaltbreit auf, und Entsetzen packte sie. Da stand Jan, nein, es war Cornelius, am Tisch seiner Kapitänskajüte mit jenem grausamen Blick wie auf dem Bild in der Galerie, das Besteck, nein, die Säbel waren über den Tisch verteilt. Die Weinflasche war heruntergefallen und zerbrochen. Die Glassplitter glitzerten zwischen den Stiefeln und Holzbeinen der wilden Gesellen, die mit ihren Armstümpfen und den Haken daran trunken in den Stühlen hingen. Cornelius' Augen funkelten, und triumphierend streckte er einen Brief in die Höhe.
    »Jetzt hab ich dich!« schrie er rauh.
    Marias Bewußtsein versagte ihr den Dienst. Nichts mehr mit Fernsehen!

6
    Ein unruhiger Schlaf quälte Jakob Finn. Mehrmals erwachte er vollkommen desorientiert, wußte sekundenlang weder, wo er war, noch warum. Einmal glaubte er, Stimmen aus der Gastwirtschaft zu hören, doch als er sich im Bett aufsetzte, verstummten die Geräusche. Ein anderes Mal schreckte er scheinbar grundlos hoch, stand schwankend auf und trat ans halb geöffnete Fenster. Doch draußen war alles ruhig. Wolken verdeckten den Mond, und der Asphaltbelag der Dorfstraße wirkte wie ein tiefer, dunkler Graben, der die Erde teilte. Vielleicht war es das, was ihn geweckt hatte: Die Erde brach gerade auseinander. Auf der sich langsam entfernenden Seite fiel aus einem Hinterzimmer (der Backstube?) der Bäckerei ›Kornblume‹ ein dünner Lichtstrahl quer durch den Laden bis zu dem mit Blumen dekorierten Brotkorb im Schaufenster. Ein geschickter Werbemensch hätte es nicht besser anordnen können. Doch niemand sah es. Jakob horchte auf die nächtlichen Geräusche des Dorfes, doch da war nichts außer einem rhythmisch sanften Rauschen, als würde die Erde atmen. Vielleicht zerbrach die Welt doch nicht – statt dessen war der schwarze Graben ihr Mund, der sich nächtens öffnete? Einige Frösche begannen im Dorfteich zu quaken. Links, auf der anderen Straßenseite, knackte etwas an der weißen Friedhofsmauer. Zu ihren Füßen lag ein Schatten, es hätte der große Hund sein können.
    Der Student kroch zurück ins Bett. Er schlief ein und träumte: Der Anwalt seiner Eltern eröffnete ihm mit Trauermiene, sein Vater und seine Mutter hätten den Flugzeugabsturz überlebt und säßen im Vorzimmer, um ihn zu begrüßen. Doch als er die Tür öffnete, war da nur ein schwarzer,

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