Herzensach - Roman
langgestreckten schwarzweißen Fachwerkhäuser der Landarbeiter. Eine Frau kam mit einem Korb heraus, um die Wäsche abzunehmen, aber die Augen der ehemaligen Haushälterin waren nicht mehr gut genug, um zu erkennen, welche der Frauen es war. Sie sah zur Dorfstraße und meinte, Trivial am weitgeöffneten eisernen Tor sitzen zu sehen. Nur einmal, am Ende des Krieges, war das Gitter geschlossen gewesen, damals, als Panzer durch das Dorf fuhren. Das immer offenstehende Tor war für Maria das Symbol für einen friedlichen Ort, wo man ohne Ängste leben konnte. Sie lächelte, vielleicht wartete Trivial so wie sie auf die Rückkehr des jungen Gutsbesitzers. Jan van Grunten hatte seine Rückkehr aus Berlin für den Abend angekündigt. Maria Glaser war deshalb extra am Nachmittag in die Küche hinuntergestiegen, um alles für sein Lieblingsdessert, einen sächsischen Hefekloß mit Butter und Blaubeeren, vorzubereiten. Sie erinnerte sich, wie der kleine Jan sie früher, als sie noch die Gewalt über Küche und Keller besaß, für diesen Nachtisch geliebt hatte, den niemand so zuzubereiten verstand wie sie.
Sie blickte hinaus und zufrieden auf ihre vierundachtzig Jahre zurück. (Es soll nicht verschwiegen werden, daß ihr ein kleines Glas Herzensacher Likör – »Lustige Blaubeere« – dabei half.) Sie war seit über zehn Jahren im Ruhestand und in der Küche nicht mehr gern gesehen. Sie wußte, daß man ihre Kommentare nicht schätzte und als Besserwisserei auslegte. Sie störte. Der neue Koch, Werner Kotschik, und seine Frau Manuela, die Haushälterin, schoben sie dann freundlich, aber bestimmt aus der Tür. Maria Glaser lachte, es war schon recht, sie hätte es genauso gemacht.
Ihr ganzes Leben hatte sie auf dem Gutshof verbracht. Ihre Mutter war wie sie Köchin gewesen, lag nun schon lange auf dem Friedhof. Man hatte sie neben jenem Mann begraben, der ihr Vater sein sollte – ein Forstgehilfe, der, bevor es zur Heirat kommen konnte, im Wald von einem umstürzenden Baum erschlagen worden war. Es sei nicht schade drum gewesen, hatte ihre Mutter später gesagt, er habe nichts getaugt. Überhaupt taugten alle Männer nichts. Dies hatte die Mutter so oft und so lange wiederholt, bis Maria davon überzeugt war und den Gescholtenen für den Rest des Lebens aus dem Weg ging.
Neben den beiden Gräbern war ein Platz für Maria freigelassen worden.
»Ach, Mutter«, murmelte Maria Glaser, »was soll ich tun?«
Auf ihrem Sterbebett hatte die Mutter ihr zugeflüstert, solange Hermann van Grunten lebe, werde es ihr gutgehen. Wenn aber Jan das Regiment übernähme, dann solle sie gehen. »Geh, so weit du kannst.«
»Ach, Mutter, was soll ich tun?« Dieselbe Frage seit fünf Jahren jeden Tag um dieselbe Zeit, denn ihre Mutter hatte nicht voraussehen können, daß Hermann van Grunten seinem Sohn Jan noch zu Lebzeiten das Gut überschreiben würde, um sich selbst nach Mallorca zurückzuziehen.
Er kommt dem Piraten nach, hatte ihre Mutter gewarnt, wenn sie durch die Küchenfenster den kleinen Jan beobachteten. Seine Streiche waren immer ein wenig weiter gegangen als die von Jungen seines Alters. Er hatte anscheinend Spaß daran, Tiere zu töten. Auf dem Rand des Gartenteichs lagen oft aufgespießte Leichen von Fröschen, Mäusen und manchmal Vögeln. Und einmal hatte er mit einem selbstgebastelten Schwert eine Ente geköpft. Das einzige Mal, daß Jan von seinem Vater in aller Öffentlichkeit eine Ohrfeige bekommen hatte.
Doch Jan behandelte Maria, seit er der Gutsherr war, mit allem Respekt, sorgte sich um ihre Gesundheit. Sie konnte zufrieden sein mit der gemütlichen Dachkammer, die ihr bewilligt worden war. Obwohl sie mit ihren alten schmerzenden Knochen im Haus keine große Hilfe mehr war, bekam sie nicht weniger Geld. Es war mehr als genug.
Vielleicht hatte ihre Mutter unrecht gehabt, sie konnte sich über den jungen Gutsherrn nicht beklagen. Er war zu allen seinen Angestellten gut und gerecht. Und wenn es überhaupt einen Grund zur Kritik gab, so war es allein der Lebenswandel des jungen Gutsherrn.
Warum heiratet er nicht, dachte Maria Glaser, er ist doch schon sechsunddreißig. Nur selten brachte Jan Freundinnen aus Berlin mit. Von diesen albernen Gänsen oder mageren Fotomodellen konnte sie sich keine als Gutsherrin vorstellen. Die aßen kaum etwas, ekelten sich vor Sülze oder anderen herzhaften Speisen und kratzten sich ständig den Kot von den viel zu dünn besohlten Schuhen.
Manchmal kam die Tochter des Försters
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