Herzensach - Roman
Tischlermeister gehörte nicht zu den Leuten, deren Nähe er freiwillig suchte. Mit Problemen, die den Tischler in seiner Eigenschaft als Bürgermeister betroffen hätten, ging er lieber zum Gutsherrn. Bei Jan wußte er, woran er war: Eine Hand wusch die andere. Verlangte er etwas, mußte er etwas anderes erfüllen. Für das Aufstellen seines Schweinebrunnens – wenn auch im Dorfteich – mußte er die Sache mit dem Studenten erledigen. Und Jan befahl nicht, er bot nur an. Es geschah selten, daß er seinem Wunsch so direkt wie beim letzten Mal Nachdruck verlieh, indem er andeutete, daß er die Geheimnisse des weißen Bungalows kannte. Wilhelm Weber fragte sich, wie Jan in den Besitz solcher Informationen kam.
Das Kreischen der Kreissäge erfüllte die Werkstatt. Der Tischlermeister stand davor und führte einen großen Holzblock immer wieder an das Sägeblatt heran, bis dieser eine annähernd runde Form annahm.
Der Schlachter trat hinter ihn und brüllte gegen die Säge an. Thomas Timber zuckte zusammen, stieß den Holzblock von sich und drehte sich wütend um.
»Bist du verrückt, mich so zu erschrecken. Ich könnte mir die Hand dabei absägen.« Er drückte einen Schalter und wartete, bis die Säge stillstand.
»Was willst du?«
»Was wird denn das?« Wilhelm Weber nickte Richtung Holzblock.
»Geht dich nichts an. Brauch ich zum Schnitzen. Scheißholz.« Er zog den Block heran und strich darüber. »Viel zu frisch. Es gibt einfach kein altes, abgelagertes Holz mehr. Letztes Jahr habe ich einen Balken aus dem Teich bei der ehemaligen Sägemühle gefischt. Der lag da garantiert hundert Jahre im Wasser. Wenn der mal durchgetrocknet ist: So etwas ist optimal.«
Er nahm den Holzblock, wickelte ihn in ein Stück Stoff ein und legte das Bündel neben die Bürotür. Wilhelm Weber folgte ihm.
»Wo ist der Student?«
»Weiß ich doch nicht.«
»Du warst doch geldgierig genug, um an ihn zu vermieten.«
»Hehehe!« Der Tischler drohte ihm mit dem Finger. »Das war anders. Meine eigene Familie hat mich über den Tisch gezogen. Mir blieb nichts anderes übrig.«
»Wo wohnt er?«
»Hier oben drüber, in der ehemaligen Wohnung meiner Eltern. Immerhin hab ich ihn auf diese Weise unter Kontrolle.«
»Ist er da?«
»Nee.«
»Hast du einen Schlüssel?«
Der Tischler nickte. »Selbstverständlich.«
»Dann laß uns hochgehen.«
Der Tischler grinste. »Ich war schon oben. Da findest du nichts.«
»Kommt darauf an, was man sucht. Pornohefte?«
»Halt's Maul.« Der Tischler lief rot an.
»Ist das nicht deine Spezialität?«
Thomas Timber spuckte vor dem Schlachter aus. »Fühl dich ja nicht so sicher in deiner Villa.«
»Ach, was willst du? Mich umbringen?«
»Schon gut«, brummte der Tischler, stampfte aus der Werkstatt und zog einen Schlüssel aus der Hosentasche.
Obwohl die beiden Feinde nicht nur die wenigen Kleidungsstücke des Studenten abklopften, sondern auch Schränke von der Wand abrückten, Matratzen anhoben und Schubladen herauszogen, um ihre Unterseite zu betrachten, war die Untersuchung kurz und vor allem ergebnislos. Die Aufzeichnungen, die sie fanden, betrafen den Wald. Einteilungen, Beschreibungen, Bestandsaufnahmen. Ein Briefkuvert enthielt ein Empfehlungsschreiben, in dem ein Professor die Person, die von dem Studenten in Anspruch genommen werden würde, bat, diesem behilflich zu sein.
Schließlich setzten sich beide an den Küchentisch der Wohnung und sahen einander schweigend an. Die gemeinsame Tätigkeit hatte ihren gegenseitigen Groll etwas besänftigt.
»Er ist schlau«, sagte der Schlachter. »Nichts verrät ihn.«
»Er ist dumm«, sagte der Tischler. »Er mietet die Höhle des Löwen.«
Sie lachten beide. Dann sagte der Tischler: »Du kennst dich doch mit Elektrik aus.«
»Wer sagt das?«
»Meine Frau.«
Wilhelm Weber sprang auf, und um seiner überraschten Reaktion einen Sinn zu geben, bückte er sich und befühlte die Unterseite des Stuhls, auf dem er gesessen hatte. Es war trotzdem sinnlos. Aus den Augenwinkeln versuchte er, die Mimik des Tischlers zu studieren. Wußte der etwas? »Was sagt sie denn?«
»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat sie mal gesehen, wie du was mit der Elektrik gemacht hast.«
Weber zählte die Kacheln hinter der Küchenzeile, bevor er antwortete. »Ach ja, richtig.« Er gab seiner Stimme einen gelangweilten Ton. »Ich hab mal die Lampe am Hauseingang repariert, da kam sie gerade zufällig vorbei. Wie kommst du jetzt darauf?«
Der Tischler stand auf
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