Herzensach - Roman
nicht ...«
»Schon gut, ist auch nicht so wichtig. Ich melde mich demnächst noch mal.« Er wollte auflegen. Doch plötzlich brüllte sein Freund: »Jakob, du bist es! Du bist meine Rettung! Wo bist du? Ich werde mich wie ein Vampir auf dich stürzen! Wir müssen uns sofort sehen!«
Andreas kam zu ihm in die Wohnung. Es war Mittag, aber er roch schon nach Alkohol. Er war blaß, seine Augen gerötet. Sein Körper war ein Schwamm. Er warf sich in einen Sessel, rutschte mit gespreizten Beinen tief hinein und gab an, total erledigt zu sein und alles hinschmeißen zu wollen.
Jakob spürte, daß er keine Chance hatte, seine Geschichte zu erzählen, sondern sich die eines gebrochenen Fernsehredakteurs anhören mußte.
»Erinnerst du dich an meine Sendung ›Besuch bei Bello‹? Mein Einstieg, das weißt du doch?«
»War das die mit dem Hund? Ich muß ehrlich sagen, ich hab sie nur einmal gesehen.«
»Vierundzwanzig Folgen. In ganz Europa verkauft. Läuft zur Zeit noch in Spanien und Holland. Jede Woche haben wir zwanzig Minuten über den Welpen berichtet, bis er groß war. Das war der Hammer.«
»Na, prima.«
»Dachte ich auch und machte ›Besuch bei Bollmann‹. Kennst du das?«
Jakob schüttelte den Kopf.
»Jede Woche berichteten wir zwanzig Minuten lang, was bei Bollmanns auf dem Bauernhof in dieser Woche passiert war. War Klasse, wurde aber nach dreißig Folgen gestoppt, dabei hatten wir noch nicht mal den Winter. Und weißt du, mit welcher Begründung? Der Bauer, der sagte nichts, nur immer: Jo. Oder: Muß ja. Ich habe dann mit ihm alte Bauernregeln gepaukt, aber der brachte alles durcheinander.«
Unverzagt berichtete Andreas von seinen Pleiten. Einer Serie, bei der das Aufwachsen eines Ferkels beobachtet wurde. Es kam zu Probeaufnahmen, aber nicht zur Sendung, weil die Filme zu oft im Stall und nicht in grüner Landschaft spielten. Der Vorschlag, das Heranwachsen eines Kalbes auf einer saftigen Weide mit der Kamera zu begleiten, wurde schon als Konzept abgelehnt, es kämen zu wenig Menschen darin vor.
»Ein Fohlen«, sagte Jakob.
»Abgelehnt. Es steht jede Woche nur herum und gibt keinen Ton von sich.«
»Ein Huhn.«
»Genau, das wöchentlich ein Ei legt! Aber in welcher Umgebung? Wir brauchen großartige Natur. Und ein kleines Mädchen.«
»Ein Huhn, das wöchentlich ein Ei legt, im Wandel der Jahreszeiten. Und von einem kleinen Mädchen gepflegt wird.«
»Und der Bezug zum Alltag der Menschen?«
»Ein Huhn, das wöchentlich ein Ei legt, sprechen kann und die Ereignisse im englischen Königshaus im Wandel der Jahreszeiten kommentiert. Und von einem kleinen Mädchen gepflegt wird.«
Ein mittlerer Lachkrampf ließ Andreas aus seinem Sessel rutschen. Er stand auf, ging glucksend im Zimmer umher. Dann versteckte er sein Gesicht hinter seinen Händen. »Im Ernst, was ich brauche, sind Abläufe in der Natur, die sich wöchentlich dokumentieren lassen. Und da brauche ich deine Hilfe.«
»Ameisen.«
Andreas prustete los.
»Da werden auch Eier gelegt – von der Königin«, ergänzte Jakob.
Andreas hielt sich kichernd den Bauch. »Und der Wandel der Jahreszeiten?«
»Die Kamera folgt den Ameisen bei ihrem Weg durch Wald und Flur.«
»Und ab und zu tritt mal ein kleines Mädchen auf eine drauf.« Andreas warf sich kichernd in seinen Sessel. Auch Jakob krümmte sich vor Lachen.
»Ich gebe es auf, ich kündige«, sagte Andreas schließlich atemlos. Jakob schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe was für dich. Jetzt nicht lachen. Es heißt: Förster Frankes Waldspaziergänge im Wandel der Jahreszeiten.«
Er erzählte ihm, was er über den Förster wußte, und beschrieb dessen Eigenart, Vorgänge in der Natur mit dem Leben der Menschen in Beziehung zu setzen.
»Und das Tollste: Dem Förster folgt bei seinem Weg durch den Wald ein zahmes Reh.«
»Du machst Witze.«
»Nein, das ist reine Wahrheit.«
Andreas sprang auf. »Der Mann ist Gold wert. Und dich mache ich, als Honorar, für die Idee in der Serie zum Berater.«
»Das heißt, ich hoffe, es ist alles Realität«, sagte Jakob leise zu sich selbst. Alles, was um ihn herum geschah, entfernte ihn nicht von Herzensach, sondern brachte ihn in das kleine Dorf zurück. Doch schienen seine Gedanken nicht von Zuneigung bestimmt, sondern von Rache, denn den Förster dem Medium Fernsehen auszuliefern, konnte nicht nur auf den Mann, sondern auf den ganzen Ort eine zerstörerische Wirkung haben. Er zweifelte nicht am Erfolg einer wöchentlichen Sendung mit
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