Herzensach - Roman
ohne – was Jakob noch mehr gefürchtet hatte – auf das Waldgebiet in Herzensach festgelegt worden zu sein. Seinen ursprünglichen Plan, in der Mensa zu essen, ließ er jetzt fallen, die zufällige Begegnung mit dem Professor hatte ihm die Laune verdorben, so daß er keinen Bedarf mehr hatte, mit neugierigen Kommilitonen zusammenzutreffen. (Hechelnde Hunde!)
Er verließ das Universitätsgelände, ging zur Alster hinunter, um dort bei einem Italiener zu essen, bei dem er bestimmt keinen seiner Bekannten treffen würde. Es war teuer dort. Hamburg war kalt, und der Wind fuhr ihm unter die Jacke. Er fror. In Herzensach hatten die Hügel die Wärme gestaut und nur einen sanften Wind zugelassen. Er betrat das Restaurant und fand zwischen den leitenden Angestellten der umliegenden Finnen und ihren Geschäftspartnern einen freien Tisch am Fenster. Er beobachtete die in dicke Pullover und gelbe Jacken eingepackten Segler auf dem Wasser. Ihre Versuche, den kleinen scharfkantigen Wellen auszuweichen und den tückischen Fallwinden beizukommen, erschienen ihm sinnlos. Der Kellner brachte die Karte, und er wußte, er würde zuviel essen und zuviel trinken, nur um ein kleines Wohlgefühl herzustellen.
Er vertiefte sich in den Weißwein und die Vorspeise, wurde jedoch durch einen Ausruf aufgeschreckt, der aus seinem Vornamen bestand, aber klang, als wäre eine neue, äußerst putzige Hunderasse entdeckt worden. Er kam nicht auf den Namen des Mädchens, erinnerte sich nur, es auf einer Skireise kennengelernt zu haben. Obwohl sie ein rundliches Gesicht hatte, trug sie sehr kurze Haare. Sie war überhaupt etwas pummelig, kaschierte dies aber durch elegante dunkle und weite Kleidung und dadurch, daß sie ständig mit dem ganzen Körper in Bewegung war.
»Ich bin Marion, kennst du mich nicht mehr?« Sie boxte ihm leicht gegen die Schulter.
Er hechelte pflichtgemäß: »Doch, du bist die Schneekönigin.«
»Lädst du mich ein?«
Er nickte. Sie setzte sich, trank von seinem Wein, bestellte eine Vorspeise und erzählte, daß sie zur Zeit halbtags in der Verwaltung eines Chemie-Unternehmens arbeite.
»In der Vorstandsetage«, flüsterte sie und sah sich um, ob einer ihrer Chefs anwesend war. »Alles entsetzlich öde Langweiler. Und die Frauen – o Gott! Die sprechen nicht, die quietschen nur.«
»Warum haben die dich eingestellt?«
»Ehrlich, das frage ich mich auch. Wahrscheinlich, weil sie jemanden brauchen, der die Arbeit macht.« Sie lachte, langte über den Tisch, griff ihm um den Hals. (Kein Halsband!) »Was machst du für ein trauriges Gesicht?« Sie ließ ihn wieder los. (Kein Fell!) Er versuchte zu lächeln und erinnerte sich, daß er sie auf einem Skifest geküßt hatte. In dem dunklen Flur des Gasthauses war sie ihm plötzlich um den Hals gefallen und mit ihrer Zunge tief in ihn eingedrungen. Es hatte ihm gefallen, aber er war ihr im Lauf der Nacht nicht wiederbegegnet, weil er sich mit ein paar Freunden auf eine Wette eingelassen hatte, wer von ihnen sich nackt im Schnee rollen würde. (Wie die jungen Hunde!)
Sie hatte begonnen, ihr Leben anhand von komischen Ereignissen und Begegnungen mit seltsamen und verrückten Leuten zu schildern. Sie redete ununterbrochen. Es amüsierte ihn. Ihr Essen kam, es hielt sie nicht ab, weiterzuerzählen. Er verlor immer wieder die Konzentration und folgte nur noch dem Auf und Ab ihrer Stimme und dem Wiegen ihres Oberkörpers. Es gefiel ihm. Er lächelte sie an, als wäre sie in der Sendung »Mein lustigstes Erlebnis« auf der Mattscheibe seines Fernsehers erschienen. Weit weg und doch ganz nah. Die dünnen brennenden Tentakel der Wirklichkeit zogen sich langsam zurück. Er würde wahrscheinlich umfallen, wenn sie keinen Halt mehr boten. Plötzlich war Stille.
»Was?« sagte er.
»Nerv ich dich?«
»Nein, ich hör dir gern zu.«
Er lachte, hob die leere Weinflasche an. »Ich glaube, ich bin betrunken. «
»Dann ist es besser, ich passe auf dich auf.«
Er winkte dem Kellner. Er hätte sich am liebsten unter dem Fenster zu Füßen der warmen Heizung zusammengerollt. (Doch ein Hund!) Es dauerte unendlich lange, bis die Rechnung kam und seine Kreditkarte bearbeitet wurde. Marion plapperte immer fröhlich weiter. Bevor er es ablehnen konnte, standen zwei Sambucca als Geste des Hauses auf dem Tisch. Sie prosteten einander zu.
Als er endlich aufstand, schwankte er. Draußen im Wind fror er sofort wieder und ließ es sich gefallen, daß Marion ihn umarmte und zum Taxistand schob. Es
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