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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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und ging zur Küchenzeile. »Ich gucke mir gerade den Wasserhahn an, da hängt doch so ein kleiner Elektroboiler dran. Hier unten im Schrank.« Er öffnete den Unterschrank und bückte sich. »Manchmal hört man doch, daß die kaputtgehen und die Leute einen Schlag kriegen, wenn sie das Wasser anstellen. Ist mancher schon tot umgefallen.«
    Wilhelm Weber kam näher. »Ich kenne Leute, die werden ganz lebendig davon.«
    »Zuerst ja, aber dann plötzlich nicht mehr. Was meinst du?«
    »Hast du Werkzeug?«
    »Sicher.«
    Der Schlachter kroch mit dem Kopf in den Unterschrank. »Es müßte wie ein Einbaufehler aussehen, der sich erst nach langer Zeit ausgewirkt hat – sagen wir mal durch eine gewisse Bewegung des Gerätes oder des Anschlusses.« Er klopfte gegen die Verkleidung des Boilers. »Ich brauche einen Schraubenzieher, eine Kabelzange und ...«, er, rüttelte an den Wasserleitungen, »... und einen Satz Maulschlüssel!«
    »Deine Stimme klingt schon, als käme sie aus einem Grab«, grinste der Tischler.

25
    Es war nicht einfach gewesen, sich von Marion zu verabschieden. Sie wußte, daß sie sich nicht wiedersehen würden, und hatte geweint. Weil ihn gerade diese Reaktion in Hochstimmung versetzte, fühlte er sich doppelt schuldig.
    Seine Stimmung blieb, und er verbrachte den Vormittag auf die ihm angenehmste Weise: in einem Café in der Nähe des Hauptbahnhofs, umgeben von Zeitungen. Er überflog Berichte von Überfällen auf Tankstellen, Einbrüchen in Juweliergeschäfte, Vergewaltigungen in Barmbek, überfahrenen Kindern in Wandsbek, Brandstiftungen in Altona und Schlägereien vor einer Disko in Eppendorf, einem Fenstersturz in Bergedorf und einer Messerstecherei in einem Lokal auf St. Pauli. Ein rätselhafter Mord füllte die Schlagzeilen. Am vergangenen Abend war eine Hausfrau auf ihrem Nachhauseweg an der Alster in Spionagemanier – aus großer Entfernung – mit einem Gewehr, wahrscheinlich mit Zielfernrohr, erschossen worden. Nicht weit von dem Restaurant entfernt, in dem er gegessen hatte. Ein Boulevardblatt hatte die Gelegenheit genutzt und eine neue Serie gestartet: Hamburgs rätselhafte Morde. Das friedliche Herzensach war weit entfernt, bis er erneut umblätterte und Förster Franke sah. Kaum zu fassen, aber es war eindeutig. Er war hinter einem kleinen Mädchen zu sehen, das fünf Welpen in seinen Armen hielt. Unter dem Foto ein Bericht von der Hundeausstellung. In dem Artikel kam der Förster nicht vor. Doch Jakob hatte plötzlich kein Vergnügen mehr daran, Zeitung zu lesen. Er wußte anhand der Überschriften, was in jedem Bericht stand. Alles schien ihm schon bekannt, als wären die Artikel Wiederholungen wie die Filme im Fernsehen. Man sah die ersten Bilder, und schon fiel einem der Schluß ein. Von da an herrschte Langeweile.
    Er ließ die Zeitung sinken. Was hatte ihn an Herzensach so fasziniert und zugleich verunsichert? Jeder der Menschen dort war ihm bekannt vorgekommen, doch je mehr er sich den einzelnen näherte, um so weniger entsprachen sie seinen Erwartungen. Vielleicht ließ sich sein Problem auf folgende Weise definieren: Er kam nicht mehr mit richtigen Menschen zurecht. Er vermochte nur noch auf Klischees zu reagieren. Die Welt war zu kompliziert für ihn. Wahrscheinlich eine Überforderung des Gehirns. Tausende der kleinen grauen Zellen waren abgestorben. Seine Möglichkeiten eingeengt. Er war krank. Alles war vollkommen normal, nur er begriff es nicht mehr. Er erinnerte sich an die Warnung eines Psychologen vor den Spätfolgen des Flugzeugabsturzes. Was hatten die mit ihm gemacht? War nicht nur seine Sexualität künstlich, sondern auch sein Gehirn ein Implantat? Nein ... oder ... Er spürte das Bedürfnis, über seine Erlebnisse in Herzensach zu sprechen. Konnte er seinen Erinnerungen noch trauen? Und wer würde ihm zuhören?
    Sein einziger Freund war ein paar Jahre älter als er, und seit er beim Fernsehen arbeitete, hatte er kaum noch Zeit für ihn gehabt. Er rief ihn trotzdem an.
    »Andreas? Ich bin es, Jakob.«
    »Jakob, Mensch, das ist ja toll, daß du anrufst. Ich hab jetzt grad leider keine Zeit, kann ich dich ... warte mal.« Er sprach zu jemandem im Hintergrund. Jakob wartete ziemlich lange, wollte schon auflegen, als Andreas den Hörer wieder aufnahm. »Hallo ...« Er schien nicht mehr zu wissen, wer dran war. So war es: »Äh, wer ...?«
    »Ich bin es.«
    »Ja, also ...«
    »Ich bin es, Jakob.«
    »Jakob, verdammt, ich bin in Schwierigkeiten, ich kann jetzt überhaupt

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