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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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war nur eine kurze Fahrt bis zu ihrer Wohnung in Eppendorf. Er genoß Marions mütterliche Vorsorge. Jemand mußte die Verantwortung für ihn übernehmen. Sie zog ihn aus, legte ihn ins Bett, deckte ihn zu. Er rollte sich wie ein Hund zusammen. Er fror noch immer. Sie steckte ihm ein Heizkissen unter die Decke. Er war fast eingeschlafen, als er spürte, daß sie zu ihm kroch. Ihr heißer Atem tat ihm gut, ihr üppiges weiches Fleisch war angenehm. Er zog sie auf sich rauf, um nicht mehr zu frieren. Es waren die Momente, in denen er sein Gebrechen liebte. Er konnte alles. Auf Knopfdruck. (Wie ein Hund?) Nur die Begeisterung fehlte. Er stand auf, schwankte ins Bad. Er spürte, wie sein Körper zitterte. Er tröpfelte etwas Eau de toilette auf seinen Penis. Es brannte ein bißchen und half. Als er sein Gesicht im Spiegel sah, erkannte er, daß er mit allen Mitteln versuchte, nicht unglücklich zu sein.

24
    Der Fliegenpeter schlug triumphierend mit der Klatsche auf die Theke.
    »Er ist nicht mehr hier. Ich habe ihn rausgeschmissen, weil ich gleich wußte, daß was nicht mit ihm stimmt.«
    Er feuerte eine Reihe von kurzen Schlägen über eine größere Fläche der Theke ab, erwischte auch zwei, bevor sich das Geschwader wieder in der Luft befand. Er schob die beiden bewußtlosen Fliegen mit der Kante der Klatsche zusammen, um sie mit einem weiteren Schlag gemeinsam endgültig zu erledigen, doch als er ausholte, katapultierte sich eine davon in die Luft, flog auf ihn zu, prallte mitten auf sein linkes Auge und fiel von dort herab auf den Fußboden, in den sicheren Raum unterhalb eines Lattenrostes. Der Angriff war kein Zufall. Der hohen Trefferquote entsprach die ausgefeilte Technik der Fliegen, die sie im Kampf mit ihrem Erzfeind entwickelt hatten. Beide Seiten hatten die jahrelangen Auseinandersetzungen genutzt, um mehr Geschick und neue Taktiken zu entwickeln. Peter Wischberg stand kurz vor der Patentierung seiner Fliegenklatsche mit Nachwippfederung. Doch jetzt schwankte er überrascht zurück, hielt sich mit beiden Händen am Gläserschrank fest, blinzelte heftig mit den Augen und rieb sich schließlich das linke Auge mit der Faust. Als er endlich wieder kampfbereit zur Theke vorrückte, war von der zweiten betäubten Fliege nichts mehr zu sehen.
    »Und wo ist er hin?« fragte Wilhelm Weber. Langsam verlor er die Geduld mit dem Wirt.
    Peter Wischberg stemmte die Arme in die Hüften, kniff das rechte Auge zu und betrachtete den Wurstfabrikanten mit dem leicht geröteten linken Auge, um dessen Sehkraft zu prüfen. »Ich hoffe, nach meinen eindeutigen Worten läßt er sich hier nicht mehr blicken und ...«
    Eine schneidende Stimme unterbrach ihn: »Du hast ihn also vertrieben? Daß ich nicht lache!« Die Mutter des Wirts hatte die Durchreiche zur Küche geöffnet und ihren Kopf in die Gaststube gesteckt. »Ich! Ich habe dem jungen Mann empfohlen, sich woanders einzuquartieren.«
    »Und wo ist er?«
    »Er wohnt beim Tischler.«
    Wilhelm Weber verließ grußlos die Gaststube. Draußen öffnete er seine Faust und betrachtete die Fliege, die er von der Theke genommen hatte. Sie erholte sich zusehends, machte ein paar Schritte, strich sich über die Flügel und startete. Er beobachtete, wie sie aufstieg und eine Zeitlang ziellos kreuzte, bis sie gradlinig durch die geöffnete Tür in die Gaststube zurückflog.
    »Du hattest deine Chance«, murmelte er. »Aber ich verstehe dich.«
    Und dieser Idiot wollte eine Ferienhaussiedlung am Lichter Moor bauen? Zum Glück hatte er ihm die Finanzierung nicht fest zugesagt. Dieser Wirt war ein Mensch, der nicht anders konnte als permanent ... zu lügen. Nein, das war der falsche Ausdruck. Die Wirklichkeit zu verdrehen. Das traf es eher, denn er schien in dem Augenblick, wenn er etwas aussprach, von der Wahrheit seiner Worte überzeugt zu sein. Kein Wunder, daß seine Frau versucht hatte, ihn umzubringen.
    Vor der Tischlerei bestiegen die beiden Gesellen den Transporter. Der Motor heulte auf, und der Wagen schlingerte mit quietschenden Reifen von der Auffahrt auf die Straße, wo er abrupt abgebremst wurde. Die Tür öffnete sich weit, und der Fahrer sprang mit angezogenem linkem Bein heraus. Er fluchte laut, hielt sich mit einer Hand am Führerhaus fest und betrachtete seine Schuhsohle. Er zog einen Schraubenzieher aus der Seitentasche seines Overalls und kratzte damit den Kot von seinem Schuh ab.
    Wilhelm Weber betrat die Tischlerei durch die große, angelehnte Doppeltür. Auch der

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