Herzensbrecher: Roman (German Edition)
bekommen, ist aber ansprechbar. Er kann sich an alles erinnern und weiß auch, warum er es getan hat. Jason leidet unter starken Schuldgefühlen.« Mehr wollte sie nicht über den Fall erzählen, und diese Information sollte genügen, um ihre Vorgehensweise zu erklären. »Das ist angesichts der Umstände nicht ungewöhnlich, aber er muss natürlich ein paar wirkungsvolle Methoden an die Hand bekommen, damit er mit seinen Problemen umgehen kann. Selbstmord ist keine Lösung.«
»Ich weiß und möchte mich entschuldigen. Ich habe mich gestern aufgeführt wie ein Idiot. Helen hängt sehr an ihrem Sohn. Er ist alles, was sie noch hat. Und ihre Ehe war nicht sonderlich glücklich.« Dazu äußerte sich Maxine nicht. Es ging Dr. West nichts an, was sie darüber wusste. »Ich war davon überzeugt, dass er Aufmerksamkeit erregen wollte. Wie Kinder eben so sind.«
»Ja, ich weiß, wie Kinder sind«, antwortete Maxine kühl. »Aber die wenigsten verüben Selbstmord, um Aufmerksamkeit zu erringen. Wenn sie es trotzdem tun, haben sie in der Regel schwerwiegende Gründe dafür. So wie Jason. Es wird viel Arbeit sein, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.«
»Ich habe großes Vertrauen, dass es Ihnen gelingen wird«, sagte Dr. West freundlich. Zu Maxines Überraschung klang seine Stimme beinahe demütig. »Es ist mir zwar unangenehm, das zuzugeben, aber ich habe im Internet über Sie recherchiert«, fuhr er fort. »Sie verfügen über eine beachtliche Anzahl von bemerkenswerten Zertifikaten, Doktor.« Er schien beeindruckt, und es war ihm offenbar peinlich, dass er sie für eine unerfahrene Therapeutin gehalten hatte, die sich aufspielte und Profit aus der Tragödie der Wexlers schlagen wollte. Er hatte Maxines Lebenslauf gelesen. Ihre Bücher galten als Standardwerke über selbstmordgefährdete Jugendliche, und sie war eine angesehene Autorität auf diesem Gebiet. Obwohl Charles West über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügte, war er beeindruckt.
»Danke, Dr. West«, antwortete Maxine zurückhaltend. »Jasons Selbstmordversuche sind ernst zu nehmen. Das zu erkennen ist mein Job.«
»Bescheiden ausgedrückt. Ich wollte mich wegen meines gestrigen Benehmens entschuldigen. Das alles hat Helen sehr mitgenommen, und sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich bin seit siebzehn Jahren ihr Hausarzt und kenne Jason seit seiner Geburt. Auch ihr Mann war mein Patient. Ich habe nicht bemerkt, wie verzweifelt Jason ist.«
»Es hat schon vor dem Tod seines Vaters angefangen. Der Unfall seiner Schwester war der erste Schock. Außerdem ist er in einem schwierigen Alter. Sechzehnjährige Jungen sind sehr empfindlich, und der Erwartungsdruck innerhalb seiner Familie, was schulische und sportliche Erfolge angeht, ist groß. Als einziges Kind lastet alles auf seinen Schultern. Der Tod seines Vaters hat das Fass zum Überlaufen gebracht.«
»Allmählich komme ich dahinter.« Dr. West klang wirklich zerknirscht, und das stimmte Maxine versöhnlich.
»Machen Sie sich keine Gedanken. Wir alle schätzen manchmal Dinge falsch ein. Außerdem ist dies gar nicht Ihr Fachgebiet. Ich möchte auch keine Diagnose zu Meningitis oder Diabetes stellen müssen. Es war aber nett, dass Sie angerufen haben.« Er war zu Kreuze gekrochen, und er war der Letzte, bei dem sie das erwartet hatte. »Sie sollten Helen im Auge behalten. Sie ist ziemlich am Ende. Ich habe ihr eine Kollegin empfohlen, die auf Trauerarbeit spezialisiert ist. Dass Jason Weihnachten im Krankenhaus verbringen muss, macht es nicht leichter für sie. Und Sie wissen ja – Stress setzt dem Immunsystem zu.« Mrs. Wexler hatte Maxine erzählt, dass sie in letzter Zeit häufig erkältet gewesen war und mehrere Migräneanfälle gehabt hatte. Jasons Selbstmordversuche und seine Einweisung in die Klinik würden ihren Gesundheitszustand nicht verbessern.
»Sie haben recht. Ich werde auf sie aufpassen. Nach dem Tod eines Familienangehörigen mache ich mir immer Sorgen um meine Patienten. Manche brechen zusammen wie ein Kartenhaus. Helen ist zwar ziemlich robust, aber ich werde sie anrufen, um zu hören, wie es ihr geht.«
»Ich fürchte, nach letzter Nacht steht sie unter Schock«, sagte Maxine ganz offen.
»Wem würde das nicht so gehen? Ich habe zwar keine Kinder, aber ich kann mir trotzdem nichts Schrecklicheres vorstellen, und sie hat bereits ein Kind und den Mann verloren. Schlimmer geht es kaum noch.«
»Doch«, widersprach Maxine traurig. »Sie hätte auch Jason verlieren
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