Herzflimmern
auf die Uhr; sie mußte sich langsam fertigmachen. Harrison würde gleich von den Feldern heraufkommen, er wollte sie zum Flughafen begleiten. Sie trank den letzten Schluck Tee und ordnete ihre Unterlagen, die sie in Honolulu Dr. Kepler übergeben wollte.
»Madam«, rief Apikalia, die philippinische Haushälterin, deren Mutter vor langer Zeit als junge Ehefrau eines der Plantagenarbeiter nach Pukula Hau gekommen war. »Mr. Butler bat mich, Ihnen zu sagen, daß er hier ist.«
»Danke, Apikalia. Ich komme sofort.«
»Du mußt das Chaos hier entschuldigen«, sagte Arnie, der Mickey mit ihren Koffern ins Haus folgte. »Ich hatte keine Zeit mehr aufzuräumen, bevor ich zum Flughafen fuhr. Wir haben eine Putzfrau, die einmal in der Woche kommt, aber die Ordnung hält sich hier nicht lange.«
Mickey sah sich im großen Wohnraum des alten Hauses um. Zwei behäbige Sofas, die nicht zusammenpaßten, ein grüner und ein orangefarbener Sessel, sämtlich mit Kinderbüchern und Puppen belegt, standen um den offenen Kamin, vor dem zwei Katzen dösten. Arnie führte sie in die riesige, unaufgeräumte Küche und fegte ein paar Zeitungen von einem Stuhl, damit sie sich setzen konnte.
»Ich mach’ uns einen Kaffee«, sagte er. »Du bist die Kälte hier bestimmt nicht gewöhnt.«
Mickey lachte. »Ich glaube, ich lasse meinen Mantel an, bis meine Knochen aufgetaut sind.«
Er hatte Mickey lange nicht gesehen; sie war ihm fremd geworden. Er {247} hatte Ruth nicht begleiten können, als sie zur Hochzeit nach Hawaii geflogen war, doch er hatte von ihr gehört, was für ein luxuriöses Leben sie jetzt führte. Als er sie da an dem von Krümeln übersäten Küchentisch sitzen sah, genierte er sich plötzlich für dieses ungepflegte Haus.
Nachdem er den Kaffee aufgesetzt hatte, setzte er sich zu ihr an den Tisch. Er war verlegen und ein wenig unsicher.
»Die Großen sind in der Schule. Die Kleinen sind mit Mrs. Colodny, unserer Kinderfrau, oben.« Er hüstelte nervös. »Ruth hätte dich so gern selber abgeholt. Aber sie mußte zu einem Notfall ins Krankenhaus.«
Mickey betrachtete Arnie Roth, der nervös an einem Pfadfinderheft herumspielte, das vor ihm auf dem Tisch lag. Er war ein sympathischer, kompakter Mann mit schütter werdendem Haar, und einem scheuen Lächeln. Ein unauffälliger Mann in einem braunen Anzug mit weißem Hemd und brauner Krawatte; ein Mann, in dessen Anwesenheit man sich wohlfühlen konnte. Sie kannte ihn nicht richtig, hatte ihn seit ihrer Studienzeit nicht mehr gesehen, und Ruth erwähnte ihn nur selten in den kurzen Briefen. Arnie war jetzt Führer einer Pfadfindergruppe und sehr aktiv in seiner Männerloge.
»Ich freue mich, daß du gekommen bist, Mickey«, sagte er, während er den Kaffee einschenkte. »Das wird Ruth guttun. Sie hat hier nicht viele Freundinnen. Sie hat so viel zu tun …«
Wieder breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus, bis ein paar Minuten später die Haustür aufgestoßen wurde, und eine Schar Mädchen mit kälteroten Wangen hereinstürmte. Mäntel und Mützen flogen in den Wandschrank, Bücher knallten auf die Ablage, und schon rannte die Schar durch das Wohnzimmer. An der Küchentür blieben sie stehen, aufgereiht, als sollten sie fotografiert werden: die kleinen vorn, die großen dahinter. Die siebenjährigen Zwillinge Naomi und Miriam, die achtjährige Rachel und die achtzehnjährige Beth. Alle vier starrten sie die fremde Frau an, die da am Küchentisch saß.
»Kommt her, Kinder«, sagte Arnie. »Sagt Tante Mickey guten Tag.«
»Hallo, Tante Mickey«, sagten die Zwillinge wie aus einem Mund.
Ein wenig unsicher breitete Mickey die Arme aus. Die augenblickliche Reaktion verblüffte sie. Ohne zu zögern flogen ihr die beiden kleinen Mädchen um den Hals. Sie spürte die Wärme ihrer kleinen Körper, nahm ihren frischen Geruch wahr, während jede ihr einen feuchten Kuß auf die Wange gab.
»Wohnst du jetzt bei uns?« fragte Rachel und kam etwas näher, um Mickey zu mustern.
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»Eine Weile, ja.«
»Wir benützen zusammen ein Bad«, bemerkte Beth. »Ich habe schon ein Bord und einen Handtuchhalter freigemacht.«
Mickey lachte, als die Haustür wieder geöffnet wurde, und die hereinkam, auf die sie gewartet hatte.
»Ruth!« rief sie und stand auf.
Durch die geschlossenen Türen klangen gedämpftes Geschrei und Gelächter und das Quietschen der Betten. Hin und wieder gab es einen dumpfen Knall, wenn ein Kissen sein Ziel getroffen hatte.
»Sie werden bald ruhig
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