Herzflimmern
glücklich. Sie kam sich vor wie im Märchen. Wer hätte gedacht, daß Mickey, das Mauerblümchen, je einen solchen Abend erleben würde? Sie lachte viel; der Champagner wirkte wie ein belebendes Elixier, und Harrison hatte sie verzaubert. Sie wünschte sich, dieser Abend würde nie ein Ende nehmen.
Als sie mit Harrison tanzte, hätte sie ihr Glück und ihre Liebe am liebsten laut herausgesungen. Und ihr Begehren. Es war eine süße Sehnsucht, die sie seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Seit – Aber sie wollte jetzt nicht an Jonathan denken. Liebe ich ihn immer noch? fragte sie sich. Nein, nicht mehr. Das ist vorbei. Er ist nur noch eine Erinnerung; eine schöne und warme Erinnerung.
Und wenn ich ihm nun wiederbegegne? Mickey schlug sich den Gedanken aus dem Kopf. An diesem Abend war sie mit Harrison zusammen; diesen Abend wenigstens gehörte sie nur ihm.
Mitten im Tanz hielt Harrison plötzlich inne und sah Mickey mit einem Ausdruck an, den sie nicht deuten konnte. Er nahm ihren Arm und führte sie von der Terrasse hinunter, einen Weg entlang, der sich unter Bäumen und zwischen Blumenbeeten hindurchschlängelte. Als sie allein waren, die Klänge der Musik fern, blieb er stehen und sah sie lange an.
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Mickey wurde unbehaglich. Den ganzen Abend schon hatte sie an Harrison eine Distanz zu spüren geglaubt, eine Abwehr, die sie nie zuvor bei ihm erlebt hatte. Und als sie ihm jetzt in die grauen Augen sah, die dunkel und ernst waren, erkannte sie, daß es nicht Einbildung gewesen war; Harrison war an diesem Abend wirklich anders als sonst.
»Mickey«, sagte er und legte seine Hände sachte auf ihre Arme. »Ich muß dir etwas sagen.«
Ein heißer, feuchter Wind kam plötzlich auf; das Gewitter braute sich zusammen.
»Ich versuche das schon seit einer ganzen Weile, aber irgendwie fand ich nie die richtigen Worte. Es fällt mir nicht leicht, Mickey.«
Äste und Blätter um sie herum gerieten in raschelnde Bewegung. Schwere Blüten fielen zur Erde. Mickey sah ihn abwartend an.
»Als meine Frau mich vor fast achtzehn Jahren verließ«, sagte er leise, »war das für mich der schlimmste Verlust, den ich je erlitten hatte. Sie war wesentlich jünger als ich. Sie war zwanzig, ich vierzig, als wir heirateten. Ich dachte, sie wäre glücklich in Pukula Hau. Ich glaubte, sie liebte unser gemeinsames Leben auf der Insel. Ich hatte keine Ahnung, daß das Haus für sie ein Gefängnis war und ich der Kerkermeister.«
Der Wind wurde heftiger. Palmenblätter schlugen klatschend aneinander.
»Nach Jasons Geburt wurde sie rastlos und launisch. Ich glaubte, das würde sich geben. Ich glaubte, sie würde ihre Erfüllung in der Sorge um das Kind finden. Aber ich täuschte mich. Eines Tages, als ich von der Plantage zurückkam, war sie nicht mehr da. Sie hatte mir einen Brief hinterlassen. Sie wollte nichts von mir außer ihrer Freiheit. Sie war mit einem jungen Mann von der Insel weggegangen. Ich wartete zwei Jahre, ehe ich die Scheidung einreichte. Ich hoffte immer, sie würde zurückkommen.«
Harrison schwieg einen Moment. »Als Jason sechs wurde, engagierte ich einen Privatdetektiv, um sie suchen zu lassen. Sie hatte sich wieder verheiratet und führte in den Staaten ein Nomadenleben. Dann verlor ich sie aus den Augen und akzeptierte die Tatsache, daß sie nie zurückkehren würde. Ich richtete mich in einem neuen Leben mit Jason ein.«
Harrisons Stimme wurde brüchig. Sein Gesicht spiegelte seinen Schmerz. Mickey nahm seine Hand.
»Als Jason starb«, fuhr er fort, »war das für mich noch einmal der gleiche grausame Verlust. Ich glaubte, diesmal würde ich es nicht überleben. Als mir dann klar wurde, daß ich mich mit meinem Schmerz selber zerstörte, dachte ich an dich.«
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Jetzt tobte der Wind. Durch die Bäume kam das Gelächter der Gäste, die von der Terrasse ins Haus flüchteten. Harrison faßte Mickey fester, als wolle er verhindern, daß der Sturm sie davontrug.
»Noch einen solchen Verlust könnte ich nicht aushalten, Mickey«, sagte er eindringlich. »Ich muß wissen, wie deine Gefühle zu mir sind. Ob auch nur die kleinste Hoffnung besteht, daß wir uns ein gemeinsames Leben aufbauen können; ob du bereit bist, bei mir zu bleiben. Wenn es diese Hoffnung nicht gibt, muß ich mich von dir trennen. Noch heute, solange ich die Kraft dazu habe.«
Ehe sie antworten konnte, flog ein Palmwedel, den der Sturm losgerissen hatte, vor ihr klatschend zu Boden. Sofort nahm Harrison sie schützend in die
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