Herzflimmern
war er wieder, dieser Gesichtsausdruck. So quälend vertraut. Nicht von ihren Patientinnen kannte sie ihn, von sich selber. Immer wenn Ruth in letzter Zeit in den Spiegel sah, entdeckte sie dieses gleiche stumme Flehen, diesen verlorenen Ausdruck, der sich aus ungestillter Sehnsucht, {252} Furcht und Verwirrung mischte. Mir geht es nicht anders als dir, Mickey. Ich möchte noch ein Kind.
»Ich komme mir vor wie ein brachliegendes Feld«, sagte Mickey leise. »Es ist entsetzlich. Jede Menstruation kommt mir wie ein neues Todesurteil vor. Ich glaube, ich werde verrückt vor Sehnsucht und Verlangen.«
»Ich weiß, Mickey. Ich kenne das aus meiner Gruppe, in der die Frauen offen über ihre Ängste und ihren Zorn sprechen. Verlorene Weiblichkeit, das Gefühl, vom eigenen Körper verraten zu werden, Selbsthaß, das Gefühl der Nutzlosigkeit –«
Aber Ruthie, hatte Arnie gesagt, du kannst doch nicht im Ernst noch ein Kind wollen! Doch, ich will. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich es will, Arnie. Aber das Risiko! Wir haben fünf gesunde Kinder bekommen, Arnie. Warum nicht noch eines dazu? Das ist doch Wahnsinn, Ruthie. Und reiner Egoismus.
Ruth fuhr sich mit der Hand über die Augen, Arnie, warum streiten wir in letzter Zeit soviel?
»Ruth?«
»Entschuldige, Mickey, mir ist gerade was durch den Kopf gegangen. Ich seh’ mir deine Unterlagen übers Wochenende an, und dann checken wir dich noch einmal nach allen Regeln der Kunst durch. Es ist möglich, daß dein Arzt etwas übersehen hat.«
Mickey lächelte. Ihre angespannten Schultern sanken herab. »Danke dir, Ruth.«
»Das einzige Risiko bei diesem Verfahren ist, daß du unwissentlich schwanger bist, Mickey. Wenn das der Fall ist, lösen wir eine Fehlgeburt aus.«
Mickey sah einen Moment zu den rotgefärbten Bäumen hinaus. »Nein, Ruth, ich bin bestimmt nicht schwanger.«
»Okay.« Ruth faltete die Karte zusammen und stand von ihrem Schreibtisch auf. »Ich sag’ der Schwester, daß sie alles vorbereiten soll.«
Sie wollten mit Hilfe einer Endometrialbiopsie feststellen, ob bei Mickey ein normaler Eisprung stattfand. Dr. Toland hatte in Pearl City die gleiche Untersuchung bereits vorgenommen, und sie war zufriedenstellend ausgefallen – aber Ruth wollte ganz sicher gehen.
Statistisch gesehen lagen die Gründe für Sterilität zu 40 Prozent bei den Männern, zu 30 Prozent bei den Frauen, zu etwa 20 Prozent bei beiden Partnern; bei den restlichen Fällen – 10 Prozent etwa – waren die Ursachen bisher ungeklärt. Den Unterlagen zufolge, die Mickey mitgebracht hatte, war bei Harrison alles in Ordnung. Dr. Tolands Untersuchungen {253} zeigten weiter, daß Mickeys Gebärmuttersekret keine spermiziden Antikörper enthielt und auch sonst das Vordringen der Spermien in keiner Weise behinderte. Folglich mußte das Problem bei Mickey organischer Natur sein, auch wenn Dr. Toland nichts dergleichen festgestellt hatte.
Während Ruth draußen mit der Schwester sprach, sah Mickey sich in ihrem Arbeitszimmer um. Es war völlig anders als ihr eigenes Sprechzimmer oder die Sprechzimmer anderer Ärzte, die sie kannte, aber es war eben typisch Ruth. Pflanzen, Spielsachen, handgenähte Kissen und Fotos, Fotos, Fotos von wahrscheinlich jedem Kind, bei dessen Geburt Ruth je geholfen hatte, von strahlenden Müttern in Krankenhausbetten, von stolzen Vätern und von Ruths eigenen Kindern einschließlich Beth und Figgy in sämtlichen Lebensaltern. Von Arnie war nur ein einziges Bild da – eine kleine Polaroidaufnahme, die Arnie mit der neugeborenen Rachel zeigte.
Mickey wurde nachdenklich. In der einen Woche ihres Aufenthalts im Haus der Roths, hatte sie etwas gespürt, das sie bedrückte; um so mehr, da Ruth überhaupt nichts wahrzunehmen schien.
Arnie.
Arnie Roth lebte in einer Frauenwelt; Tampaxschachteln im Badezimmer, Büstenhalter an Türklinken, Puppen und Lockenwickel, Schleifchen und Spangen; sogar die Hunde und die Katzen waren weiblichen Geschlechts. Und wie in unbewußtem Bemühen, dieser Überwältigung durch das Weibliche standzuhalten, produzierte der ruhige Arnie einen seiner Persönlichkeit völlig fremden Fanatismus für Männersport, steigerte sich bis zur Besessenheit in seine Aktivitäten für die Pfadfinder und für seine Männerloge hinein und hatte nun – gestern erst – sogar ein Jagdgewehr gekauft.
Das war nicht mehr Arnie Roth. Doch er fühlte sich in die Ecke gedrängt, auf die Seite gestellt, ausgestoßen, überflüssig. Sah Ruth denn
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