Herzflimmern
Eine Aufnahme?«
»Nein, wir drehen noch nicht. Wir sondieren gewissermaßen erst mal das Terrain, die Beleuchtung, die räumlichen Möglichkeiten und dergleichen.«
»Sind Sie der Kameramann?«
»Ich bin Produzent, Regisseur, Kameramann, Script Girl und Laufbursche.«
Sie lachte. »Ich dachte immer, Filme würden mit Riesenscheinwerfern und Reflektoren und einer Crew von mindestens fünfzig Leuten gedreht.«
Er stimmte in ihr Lachen ein, wobei sich in seinen Augenwinkeln kleine Fältchen bildeten. Er hatte sehr schöne, warme Augen, fand Mickey.
»Das kommt immer auf den Film an. Das hier wird kein
Ben Hur.
Bei Filmen wie wir einen drehen, braucht man keine große Crew. Die besteht nur aus Sam und mir. Das Krankenhaus ist die Kulisse, und die Leute hier, Personal und Patienten, sind die Schauspieler.«
»Und die Story?«
»Das Krankenhaus erzählt seine eigene Geschichte.«
Wie seltsam. Vor drei Minuten noch war Mickey in höchster Eile gewesen, hatte tausend Dinge zugleich im Kopf gehabt, und jetzt stand sie seelenruhig hier und unterhielt sich mit einem Mann, den sie gar nicht kannte, ausgerechnet über Kino.
»Kann ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?«
Mickey wünschte, er hätte die Frage nicht gestellt. Nichts wäre ihr in diesem Moment lieber gewesen, als die Einladung anzunehmen. Aber sie mußte sie ausschlagen. In den Untersuchungszimmern warteten die Patienten, und sie wußte, daß sie den ganzen Tag nicht zur Ruhe kommen würde. In der Notaufnahme gab es ständig zu tun. Man mußte Platz- und Schnittwunden nähen, Gipsverbände anlegen, punktieren, hysterische Mütter beruhigen – die Liste war endlos. Wenn sie Glück hatte, würde sie irgendwann Zeit finden, ein hastiges Mittagessen hinunterzuschlingen, in die Wohnung zu laufen, um sich umzuziehen, und vielleicht in einem freien Untersuchungszimmer ein kleines Nickerchen zu machen.
{86}
»Tut mir leid, aber ich kann nicht.« Sie wandte sich zum Gehen. »Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.«
»Wir sehen uns sicher wieder, Dr. Long.«
Mickey zögerte, wollte etwas sagen, überlegte es sich anders und eilte davon.
Sie stieß noch ein zweitesmal mit ihm zusammen, als sie zu schnell um eine Ecke bog, und sie lachten beide über diesen Zufall. Jonathan Archer wollte mit ihr zusammen zu Mittag essen, aber wieder lehnte sie ab. Als sie das drittemal mit ihm zusammentraf, war sie auf dem Weg in die Verwaltung, um eine Krankenkarte suchen zu lassen, und Jonathan und Sam waren auf dem Rückweg aus der psychiatrischen Abteilung, wo sie gerade gefilmt hatten. Sie konnten nur ein paar Worte wechseln, da Mickey wie immer in Eile war und seine Einladung, eine Tasse Kaffee mit ihm zu trinken, wiederum abschlagen mußte.
Beim vierten Zusammentreffen war Mickey so in die Planung ihres Umzugs nach Hawaii vertieft, falls sie die Assistentenstelle am Great Victoria Krankenhaus bekommen sollte, daß Jonathan sie am Arm fassen mußte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Diesmal waren sie am richtigen Ort, in der Krankenhauskantine, und es war die richtige Zeit, Mittag. Er fragte, ob sie nicht zusammen mittagessen wollten, aber Mickey hatte noch dringende Schreibarbeiten zu erledigen und mußte weg.
Jonathan Archer begann sich zu fragen, ob sie ihm absichtlich aus dem Weg ginge, und Mickey fragte sich das gleiche.
Sie war nervös. Während sie sich am Becken vor dem Operationssaal gründlich schrubbte, versuchte sie, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie im vergangenen Semester bei ihrem ersten turnusmäßigen Praktikum in der Chirurgie gelernt hatte. Zuerst Arme und Hände gründlich waschen, dann mit der Bürste abschrubben und dabei die Bürstenstriche zählen – zwanzig an den Nägeln, zehn für jeden Finger und die Hand, sechs um die Handgelenke, sechs für den Arm bis über den Ellbogen. Dann spülen, bei den Fingerspitzen anfangen, Hand langsam heben, den Arm entlang spülen, darauf achten, daß das Wasser von den Fingern zum Ellbogen läuft. Dann die Bürste in die andere Hand nehmen, Seife zugeben, das Verfahren wiederholen.
Mickey bürstete wie alle Anfänger viel zu fest und biß die Zähne zusammen, weil es so weh tat. Mit der Zeit würde sie lernen, wie stark sie bürsten mußte, um die Hautbakterien zu entfernen, ohne die Haut selbst {87} zu verletzen. Gerade so wie sie gelernt hatte, sich mit dem Körper nicht an das Becken zu lehnen und sich das Mundtuch umzubinden, ehe sie mit der Wäsche anfing. Warum waschen sich die
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