Herzflimmern
Chirurgen im Film immer mit heruntergelassenem Mundtuch, fragte sie sich. Wenn sie das in einem richtigen Krankenhaus täten, würde man sie hinauswerfen.
Sie sah zur Uhr hinauf. Die gründliche Waschung sollte, wenn sie richtig gemacht wurde, genau zehn Minuten in Anspruch nehmen. Sie wollte ihre Sache unbedingt gut machen, da sie an diesem Morgen Dr. Hill assistieren sollte, dem Chef der Chirurgie, der, wie getuschelt wurde, den Medizinstudenten mit Vorliebe das Leben schwer machte.
Jetzt kam der heikle Teil: man mußte über den Flur, durch die geschlossene Tür, sich abtrocknen, den keimfreien Kittel und die Handschuhe überziehen, ohne sich unsteril zu machen. Im vergangenen Semester hatte eine Schwester – es waren die Schwestern, nicht die Ärzte, die die Medizinstudenten in dieses Verfahren einwiesen – Mickey dreimal zu den Waschbecken zurückgeschickt, ehe sie zufrieden gewesen war. Die Arme hochhaltend, so daß das Wasser an den Ellbogen ablief, ging Mickey jetzt rückwärts zur Tür, stieß diese mit dem Gesäß auf und war froh, daß die Schwester schon mit dem Handtuch dastand, denn ihre Arme waren eiskalt und brannten. Unter dem kritischen Blick der Schwester trocknete Mickey zuerst die eine Hand, dann die andere, ohne mit dem Handtuch ihre Kleidung zu berühren, trocknete dann die Arme bis zu den Ellbogen und warf das Tuch in den Wäschekorb. Sie schlüpfte in den grünen Kittel, den die Schwester für sie hielt, und schob ihre Hände dann in die Handschuhe, ohne sie zu zerreißen – was nicht ganz einfach war –, während eine andere Schwester hinten ihren Kittel zuband.
Die Operation hatte noch nicht begonnen, doch Mickey schwitzte schon jetzt.
»Sie assistieren Hill?« rief der Anästhesist hinter dem Wandschirm hervor.
Mickey konnte ihn nicht sehen. Da der Patient schon in Narkose und alles zur Operation vorbereitet war, hatte die Operationsschwester die keimfreien Vorhänge vorgezogen; der Anästhesist saß hinter seiner grünen Wand verborgen.
»Ja«, antwortete sie ihm.
»Na, dann viel Glück.«
Das war das sechstemal, daß ihr an diesem Morgen viel Glück gewünscht wurde. So schlimm konnte Dr. Hill doch gar nicht sein!
»Im OP ist er ein richtiger Tyrann«, hatte Miss Timmons, die Oberschwester, Mickey in der Garderobe anvertraut. »Er hält sich offenbar für {88} den Herrgott persönlich und hat ein Vergnügen daran, die Medizinstudenten niederzumachen. Seien Sie nur vorsichtig, er schlägt einem schnell mal auf die Finger.«
Das gleiche hatte Mickey von verschiedenen Kommilitonen gehört, die vor ihr in der Chirurgie gewesen waren. Wenn man einen Fehler machte, bekam man von Dr. Hill mit einem Instrument kräftig eins auf die Finger.
»Also, dann wollen wir mal!« dröhnte es von der sich öffnenden Tür her. Ein großer, imposanter Mann im grünen Anzug hielt der Schwester seine tropfnassen Arme hin und trocknete sich blitzschnell die Hände. Während man ihm seinen Kittel zuband, musterte er Mickey mit einem Blick, unter dem ihr beklommen zumute wurde. »So, und Sie assistieren mir also heute?«
»Ja, Doktor.«
»Ihr Name?«
»Dr. Long.«
»Nein,
Doktor
noch nicht. Haben Sie schon mal bei einem Blinddarm assistiert, Miss Long?«
»Nein, Doktor, aber ich habe mir gestern –«
»Stellen Sie sich da drüben auf die Seite«, befahl er und ging mit drei langen Schritten zum Operationstisch.
Mickey gehorchte stumm, nahm ihren Platz gegenüber Dr. Hill ein und legte ihre Hände sehr leicht auf die grünen Tücher. Sie spürte die schwache Wärme des Patienten, der darunter lag, und den sachten Rhythmus seiner Atmung.
»Wenn Ihnen während der Operation unwohl werden sollte, Miss Long, dann gehen Sie vom Tisch weg. – Also, meine Damen, sind wir soweit?«
Die beiden Schwestern nickten.
»Chuck, bist du wach da hinten?«
»Voll da«, kam die knappe Antwort hinter der Abschirmung hervor.
Dr. Hill pflanzte sich breitbeinig am Tisch auf und beugte sich über das kleine Fleckchen nackte Haut, das die Tücher freiließen. Er maß Mickey mit einem langen taxierenden Blick und sagte dann: »Wir fangen immer mit dem Skalpell an. Ich nehme an, Sie haben schon mal vom Skalpell gehört, Miss Long? Wenn Sie das Skalpell verlangen, strecken Sie auf keinen Fall die flache Hand hin, wie Sie das bei anderen Instrumenten tun würden. Da würden Sie nämlich mindestens einen Finger einbüßen. Sie halten Ihre Hand in der Stellung, die sie einnehmen wird, wenn Sie das Messer
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