Herzflimmern
das Haar kämmte, die Zähne putzte, tat sie es wie eine Blinde, aus Angst vor ihrem Spiegelbild und vor einer möglichen Enttäuschung. Sie wollte die ›Enthüllung‹ so lange wie möglich hinausschieben. Wenn Ruth und Sondra sie musterten, konnten sie nichts übermäßig Dramatisches entdecken. Mickeys Gesicht war die meiste Zeit geschwollen und verfärbt und von Verbänden zugedeckt. Mit dem Näherkommen der Prüfungen wandte sich ihre Aufmerksamkeit immer mehr den Büchern zu, und es blieb ihnen kaum Zeit, sich um Mickey zu kümmern.
Am Wochenende vor der gefürchteten Statistik-Prüfung fragte Dr. Novack Mickey, ob sie bereit wäre, sich auf der jährlichen Fachtagung, wo er einen Vortrag halten wollte, zur Demonstration zur Verfügung zu stellen.
Er war dabei, die Fäden an der Stelle vor ihrem Ohr zu ziehen, wo er die alte Narbe entfernt hatte.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, Mickey?« fragte er. »Die Tagung findet in zwei Wochen statt, am letzten Wochenende vor Semesterschluß. Es kommen ungefähr sechzig Fachärzte aus allen Teilen des Landes. Meinen Sie, Sie könnten so eine Demonstration auf sich nehmen?«
Sie saß wie immer, den Kopf zur Wand gedreht, die Hände im Schoß.
»Was muß ich denn da tun?«
»Nicht viel. Ich zeige meine Dias und halte einen kurzen Vortrag. Dann müßten Sie herauskommen, damit die Kollegen Sie sehen können.«
»Das kann ich nicht«, flüsterte sie.
Der letzte Faden war gezogen. Dr. Novack knüllte das kleine Gazebündel zusammen und warf es in den Eimer. Dann rollte er auf seinem Drehstuhl herum, so daß er Mickey ins Gesicht sehen konnte.
»Ich glaube schon, daß Sie es können«, sagte er sanft. »Ich kann Sie natürlich nicht zwingen. Aber überlegen Sie mal, was Sie damit bewirken können. Viele dieser Ärzte kommen extra her, um sich über meine neue Behandlungsmethode zu informieren. Wenn sie Sie sehen, wird sie das überzeugen, daß die Sache Hand und Fuß hat. Sie werden nach Hause {78} fahren, um anderen zu helfen, die noch so unglücklich sind, wie Sie es einmal waren.«
Sie starrte ihn an. »Wie ich einmal
war
?«
»Sie haben noch nie in den Spiegel gesehen, nicht wahr, Mickey? Hier.« Er nahm einen Handspiegel und hielt ihn ihr vors Gesicht. Instinktiv schloß Mickey die Augen. »Sehen Sie sich ruhig an. Ich würde sagen, wir haben einen absoluten Volltreffer gelandet.«
Sie öffnete die Augen, starrte furchtsam in den Spiegel. Ihre rechte Gesichtshälfte sah grauenvoll aus: rötliche Narben, Verfärbungen, Schwellungen –
Aber das Feuermal war weg.
»Das alles vergeht mit der Zeit«, sagte Dr. Novack und berührte dabei verschiedene Stellen mit den Fingerspitzen. »Wenn Sie sich an das halten, was ich Ihnen gesagt habe und nicht in die Sonne gehen, wird kein Mensch etwas davon merken, wie das einmal ausgesehen hat.«
Noch einen Moment lang starrte sie ihr Spiegelbild an, dann wandte sie sich Dr. Novack zu.
»Also gut«, sagte sie mit einem unsicheren Lächeln. »Ich tu’s.«
»Sie kommt«, rief Sondra, ließ den Vorhang fallen und rannte vom Fenster weg.
Ruth stürzte in die Küche, Sondra folgte ihr, und dort blieben sie beide mit angehaltenem Atem im Dunklen stehen. Als sie das Knacken des Schlüssels im Schloß hörten, hatten sie Mühe, das aufkommende Gelächter zu unterdrücken. Die Tür öffnete sich, und sie sahen Mickey umrißhaft im abendlichen Dunkel stehen.
»Hallo«, sagte sie. »Ist keiner zu Hause?« Dann murmelte sie: »Sind anscheinend beide weg …«
Sondra drückte auf den Lichtschalter und Ruth schrie mit voller Lautstärke: »Hurra!«
Mickey fuhr erschrocken zusammen. Handtasche und Papiere fielen zu Boden. Sie drückte eine Hand auf die Brust und rief erstickt: »Was ist denn –«
»Wir haben eine Überraschung für dich«, riefen Sondra und Ruth in lachendem Singsang. »Komm rein, wir müssen feiern.«
»Was ist denn –« begann Mickey wieder, während die beiden anderen sie an den Händen faßten und zu ihrem Zimmer zogen. »Sind die Prüfungsergebnisse rausgekommen?«
»Noch nicht. Nun komm schon.«
Sondra blieb zurück, und Ruth schob Mickey in ihr Zimmer. Alle drei {79} blieben stehen, Sondra und Ruth lachend, Mickey mit geöffnetem Mund.
»Was soll das?« fragte sie schließlich leise.
»Wir feiern dein Debut, Mickey Long.« Ruth gab ihr noch einen sanften Puff in den Rücken. »Na, los schon. Schau dir an, wie wir uns die neue Mickey vorstellen.«
Langsam näherte sich Mickey den Sachen,
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