Herzflimmern
Fehler, jetzt eine Schwangerschaft einzuplanen. Aber Ruth war fest entschlossen, und Sondra hatte längst alle Versuche aufgegeben, sie von ihren Plänen abzubringen.
»Ich geh’ zu Gilhooley’s rüber was essen. Kommst du mit?«
»Ich kann nicht. Ich muß unbedingt noch in die Bibliothek.«
Jeder andere wäre mit den glänzenden Ergebnissen, die Ruth bei den letzten Zwischenprüfungen erzielt hatte, wahrscheinlich glücklich und zufrieden gewesen; Sondra und Mickey jedenfalls hatten an ihrem zwölften und fünfzehnten Platz innerhalb der Jahrgangsstufe nichts auszusetzen. Aber Ruth konnte nicht lockerlassen, hatte sich sogar noch für ein außerordentliches Projekt gemeldet, um zusätzliche Punkte zu bekommen. Es war Sondra schleierhaft, wie Arnie das alles ertrug. Sie bewunderte ihn dafür, daß er so unerschütterlich zu Ruth stand, ihr niemals Szenen machte, wenn sie wieder einmal tagelang keine Zeit für ihn hatte, es ganz ihr überließ, ihre Treffen zu planen. Jetzt fragte sie sich, wie Ruth ihn dazu überreden wollte, so bald schon zu heiraten und ein Kind in die Welt zu setzen.
»Frag Mickey«, sagte Ruth mit einem Blick auf ihre Uhr. »Ich glaub’, sie ist heute abend frei.«
»Mickey geht heut’ abend aus. Wußtest du das gar nicht? Sie ist mit Jonathan Archer verabredet.«
Sondra ging mit Ruth zur Tür. »Er hat diese Woche jeden Abend angerufen. Heute ist ihr erster freier Abend. Er will mit ihr in den Antikriegsfilm gehen, den er gemacht hat. Er hat dieses Jahr in Cannes einen Preis bekommen, und Mickey hat mir erzählt, er soll sogar für den Oscar vorgeschlagen sein.«
{103}
Draußen in der milden Oktobersonne blieben sie einen Moment stehen.
»Ich bin heut’ abend auch nicht da, Ruth«, sagte Sondra. »Ich gehe zu einem Vortrag über Tropenmedizin.«
»Okay«, erwiderte Ruth und wandte sich zum Gehen. »Ich laß das Flurlicht brennen.«
Hast du’s gut, dachte sie im stillen beinahe neidisch. Sondras Zukunft war so klar abgesteckt, ihre Ziele waren so scharf definiert. Da gab es keine Hindernisse, keine Bindungen, die alles erschwerten, niemanden, auf den sie Rücksicht nehmen mußte. Sie hatte sich in den drei Jahren des Studiums nicht einmal eine Liebelei geleistet, sondern war konsequent den Weg gegangen, für den sie sich Jahre zuvor entschieden hatte. Im vergangenen Sommer hatte Pastor Ingels, der Pfarrer der Gemeinde in Phoenix, der Sondras Eltern angehörten, bei ihr angefragt, ob sie sich entschließen könne, auf einer Missionsstation in Kenya zu arbeiten. Sondra war sofort Feuer und Flamme gewesen. Nach den Abschlußexamen wollte sie zunächst ein Jahr als Assistenzärztin an einem Krankenhaus in Arizona arbeiten und dann nach Afrika gehen, wo sie, wie ihre beiden Freundinnen fest glaubten, ein Leben voller Abenteuer, Neuentdeckungen und persönlicher Befriedigung erwarten würde.
Mickey war voller Bedauern, als er kam. »Es tut mir leid, Jonathan. Ich habe versucht, Sie zu erreichen. Ich kann doch nicht mitkommen. Es ist was dazwischengekommen.«
»Was ist denn passiert?«
»Ich hab’ heute abend Notdienst.«
»So plötzlich? Heute nachmittag, als wir miteinander sprachen, waren Sie noch frei. Hat man Ihnen das aufgebrummt, oder haben Sie sich freiwillig gemeldet?«
Sie senkte die Lider unter seinem scharfen Blick.
»Na ja, sie haben mich gefragt …«
»Und da konnten Sie nicht nein sagen. Kann ich dann wenigstens reinkommen und Ihnen Gesellschaft leisten, bis es soweit ist?«
»Ich müßte eigentlich im Krankenhaus sein. Wenn ein Notfall reinkommt –«
»Sie sind doch hier nicht weit. Ich kann Sie ja rüberfahren.«
Sie überlegte einen Moment, dann nickte sie.
»Ach ja, das wird schon gehen. Aber samstags ist immer am meisten los.«
Er kam herein und zog den dicken Schafwollpullover aus, den er über seiner Jeans trug.
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»Warum haben Sie angenommen? Werden Sie dafür bezahlt?«
Mickey schloß die Tür und ging in die Küche.
»O nein, Geld gibt’s da keines.«
»Warum dann?«
Sie machte den Kühlschrank auf und rief: »Bier, Wein oder Limo?«
»Bier bitte. Also, warum haben Sie den Notdienst übernommen, obwohl gar kein Zwang bestand?«
»Weil ich Erfahrung brauche. Sie wissen, daß ich in die plastische Chirurgie möchte, und da muß man erstklassig nähen können. Wenn ich im OP bin, darf ich höchstens die Zangen halten. Das Nähen besorgen die fest angestellten Ärzte.« Sie ging ins hell erleuchtete Wohnzimmer und setzte sich aufs
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