Herzflimmern
»Gern, schöne Frau, wenn Sie mir nur nicht erzählen, wozu Sie sie brauchen.«
Es verblüffte Ruth selbst jetzt noch: Arnie hatte an dem Abend, als sie sich kennengelernt hatten, tatsächlich nicht übertrieben, als er erklärt hatte, von der Medizin wolle er am liebsten überhaupt nichts hören.
»Arnie, kannst du einen Moment halten?«
Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an.
»Jetzt? Warum denn? Willst du ein bißchen schmusen?«
»Ich möchte reden.«
Er warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. »Ruth, die ganze Familie wartet auf uns. Meine Mutter kriegt einen Anfall, wenn wir zu spät kommen.«
Sie seufzte bei dem Gedanken an Arnies Familie: Mr. Roth, ruhig und unauffällig, Wirtschaftsprüfer wie Arnie, zwei Brüder, der eine der Epidemiologe, der andere Immobilienmakler, drei Schwestern, alle verheiratet mit insgesamt acht Kindern, eine alte Tante und ihr Mann, die in einem Seniorenheim lebten, diverse Vettern und Cousinen und schließlich die energische Maxine Roth, Arnies Mutter, die wie eine mächtige Matriarchin über die ganze Familie wachte. Eine Familie, die Ruths eigener nicht unähnlich war.
»Arnie«, sagte Ruth, nachdem er seufzend das Auto geparkt hatte und sie fragend ansah. »Ich möchte heiraten.«
»Aber das tun wir doch.« Er drückte ihre Hand. »Im Juni, du weißt doch.«
»Ich meine, jetzt. Sofort.«
Er lachte leise. »Du bist doch eine verrückte Nudel.«
»Ich mein’ es ernst, Arnie. Ich kann nicht warten.«
Sein Gesicht wurde ernst. »Wie meinst du das?«
Es wurde nicht die ruhig fließende Rede, die sie geplant hatte. Die Aufregung nahm ihr alle Ruhe, so daß sie es nur noch in abgerissenen Sätzen, die sie mit heftigen Gesten unterstrich, hervorsprudeln konnte: daß sie {107} ein Kind haben wolle, unbedingt, bald, ehe es zu spät wäre, daß sie nicht warten wolle, bis sie über dreißig sei, daß sie sich so dringend ein Kind wünsche, daß es sie fast verrückt mache.
Arnie hörte sich das alles schweigend an, verblüfft und sprachlos angesichts dieser völlig unerwarteten Wendung. Drei Jahre lang waren sie sich völlig einig darin gewesen, daß sie mit Kindern warten wollten, bis Ruth sich als Ärztin mit eigener Praxis niedergelassen hatte, und nun wollte sie diese Planung, die gerade sie mit allem Nachdruck vertreten hatte, plötzlich umwerfen. Während Ruth erregt auf ihn einredete, registrierte er trotz seiner Verblüffung neben den Worten noch etwas anderes; er sah die verzweifelte Dringlichkeit im Blick ihrer Augen, hörte den flehenden Unterton ihrer Stimme, spürte die Panik, die sie zu überwältigen drohte.
Warum? fragte er sich. Nichts von alledem, was sie sagte, erklärte wirklich diesen plötzlichen dringenden Wunsch, ein Kind zu bekommen. Wieder einmal, wie schon manchesmal in der Vergangenheit, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß er Ruth Shapiro im Grund kaum kannte.
»Wenn wir jetzt heiraten«, sagte er langsam, »wo wollen wir wohnen? Meine Wohnung ist viel zu weit weg vom College, und ich glaube nicht, daß wir um diese Jahreszeit etwas finden, was näher ist für dich.«
Ruth blickte ins feuchte Gras hinunter. Das war der heikle Moment. Was sollte sie tun, wenn er nicht einwilligte; wenn er darauf bestand, bis zum Juni zu warten? Ruth wußte, sie würde ihr Kind bald bekommen müssen, wenn sie beweisen wollte, daß sie nicht auf Kosten ihres Frauseins Medizin studiert hatte; wenn sie der Welt zeigen wollte, daß sie alles zugleich sein konnte – Frau, Mutter und Ärztin. Aber war dieses Bedürfnis so dringend, daß sie bereit war, dafür ihre Beziehung zu Arnie aufs Spiel zu setzen?
»Wir könnten doch so weiterleben wie bisher«, antwortete sie leise. »Es wäre ja nur eine Sache von sechs Monaten.«
Er war unschlüssig. »Bist du denn sicher, daß sie dich im Krankenhaus nehmen, wenn du schwanger bist?«
Ruth sprach hastig: »Wenn wir es so einrichten können, daß ich im September entbinde, bin ich nur zweieinhalb, höchstens drei Monate während meiner Assistenzzeit schwanger. Die letzten neun Monate wäre ich voll arbeitsfähig.«
»Aber wie wollen wir das denn schaffen, wenn wir beide arbeiten?«
»Meine Mutter springt bestimmt ein, bis wir alles richtig organisiert haben. Wir können ja eine Studentin für das Kind engagieren.« Ruth {108} drückte seine Hand. »Ich weiß, daß wir’s schaffen können, Arnie. Und es liegt mir so viel daran.«
Er war hin und her gerissen. Aber schließlich konnte er Ruths
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